Picasso: In den Bildern tobt der Krieg

Von Bernd Berke

Köln. Gleich zwei Ausstellungen in NRW bereichern jetzt das Bild, das wir uns von Pablo Picasso machen, um weitere Facetten. Die Bielefelder Kunsthalle hebt mit „Picassos Klassizismus“ einen eher gefälligen Aspekt des riesigen Werk-Kosmos hervor (bis 31. Juli), das Kölner Museum Ludwig zeigt Arbeiten von „Picasso im Zweiten Weltkrieg“ (heute bis 19. Juni; Katalog 45 DM).

Während der deutschen Besetzung Frankreichs arbeitet Picasso meist in Paris. Die Besatzer behelligen ihn nicht – aus Furcht vor dem internationalen Skandal, den eine Drangsalierung des weltberühmten Künstlers entfachen würde. Picasso empfängt gar, sozusagen mit der „Faust in der Tasche“, den einen oder anderen deutschen Offizier im Atelier.

Direkt nachvollziehbare politische Bezüge wie in dem berühmten „Guernica“ (1937; in Köln natürlich nicht zu sehen) oder dem surrealen Beinahe-Comic-Strip „Traum und Lüge Francos“ (1937; in Köln ausgestellt), kommen während der Weltkriegsjahre nicht vor. Bedeutet dies, daß der spanische Bürgerkrieg den Spanier Picasso mehr aufgewühlt hat als der Weltkrieg oder gar, daß der Künstler inzwischen unpolitisch geworden ist? Nein, er verarbeitet die Schrecken nur anders. Statt den Krieg ausdrücklich zum Thema zu machen, läßt er ihn in die Struktur seiner Bilder einsickern wie ein Gift. Sogar das Genre der – traditionell beschaulichen – Stilleben gerät hier entweder zur kargen Inventur von Rest-Beständen (auch Picasso litt während des Krieges Hunger) oder zu „Schädelstätten“ mit Totenköpfen.

Picassos formale Aufsplitterung der menschlichen (besonders der weiblichen) Gestalt, in kubistischer Frühzeit noch hauptsächlich Form-Experiment, bekommt gleichfalls eine tiefere Dimension; sie wird zur aggressiven Deformation, zur Verwundung – und somit zur bildnerischen Entsprechung des auch in der Realität zerstörten Menschenbilds. Knapp gesagt: Es sind keine Bilder über den Krieg, der Krieg ist in den Bildern.

Das scheinbar so: arglose „Ständchen“ (1942) ist ein Haupt- und Schlüsselwerk für Picassos Kunst der Kriegszeit. Der zerschmetterte Akt wirkt bei genauerem Hinsehen wie ein Opfer von Folterern. Das „Ständchen“ – ein furchtbarer Totentanz.

Auch die elf Zustände der Lithographie „Der Stier* (1945) zeigen, in Reihe gehängt, eine zunehmende Skelettierung der Kreatur, gleichsam das Anwachsen des Todes. Zaghaft scheint hingegen im Bild „Erste Schritte“ (1943) Hoffnung aufzukeimen: Eine Mutter lehrt ihr Kind laufen. Sie bückt sich wie unter einer Last, aber das Kind – Sinnbild der Zukunft – kommt voran.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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