Monatsarchive: Mai 1988

Cleverer Onkel und ein Kultur-Eckchen für die Damen – Carl Sternheims „Tabula rasa“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Diese Farbsymbolik ist schon reichlich dick aufgetragen: Wenn in der Wuppertaler Inszenierung von Carl Stemheims Stück „Tabula rasa“ wirtschaftlich-politische Dinge verhandelt werden, spielen sie sich in Wolf Münzners Bühnenbild auf einer großen grauen Fläche ab, die bis in die Tiefe der Bühne reicht und fast nur den Herren der Schöpfung vorbehalten bleibt.

Für die dienenden Damen gibt’s links vorn, schräg nach hinten gekippt, ein kleines rosarotes „Kultur-Eckchen“ mit Klavier, Staffelei, Ballettstange und Spiegel. Die Verbindung beider Sphären ist denkbar gering und wacklig: Mit einem Bein ragt ein Tisch aus dem grauen in den rosaroten Bereich, nur gestützt von einer winzigen Klassiker-Büste.

An dem Tisch residiert Wilhelm Ständer, Sozialdemokrat auf Abwegen: Heimlich ist er zum Mitaktionär der … Weiterlesen

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„Strukturwandel auch für die Kultur nutzen“ – Dortmunds Schauspielchef Guido Huonder im Rundschauhaus

Dortmunds Schauspielchef Guido Huonder (4. von links) im Kreise von Rundschau-Redakteuren. (WR-Bild: Franz Luthe)

Eigener Bericht

Dortmund. (bke) Der Strukturwandel im Revier habe auch ein Bewußtsein für die Wichtigkeit von Kultur geweckt: „Dieses neuerwachte Bewußtsein müssen wir nutzen, um den Politikern klarzumachen, daß Kultur kein freiwilliger Geschenkartikel, sondern eine Pflichtaufgabe ist.“ Das sagte Dortmunds Schauspielchef Guido Huonder bei einem Redaktionsbesuch im Dortmunder Rundschauhaus.

Huonder, dessen Ensemble bundesweit gefragt ist und bei mehreren renommierten Festivals die Stadt repräsentiert (heute, Samstag, 20 Uhr, gibt’s im Dritten TV-Programm die Dortmunder Fassung von Taboris „Mein Kampf“ beim NRW-Theatertreffen), erklärte sich im Kampf gegen Etatkürzungen „total solidarisch mit den anderen Revier-Theatern“, denn „im Ruhrgebiet gibt es kein einziges Theater zuviel“. Der gebürtige Schweizer ist da … Weiterlesen

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Das Gewicht von Lüdenscheid

Von Bernd Berke

Lüdenscheid. Der rührige Uwe Obier, Leiter der Städtischen Galerie Lüdenscheid, steht dafür ein: In der Kunstlandschaft hat die Stadt ihr Gewicht. Das nimmt der Künstler Peter Freese – mit Anhauch von Ironie – ganz wörtlich.

Aus Holzlatten hat Freese ein schematisches Autobahnnetz von NRW angefertigt; die Stadt-Punkte werden mit Eisengewichten, wie man sie vom Wochenmarkt her kennt, markiert. Was schon die Anschauung offenbart, wird auf der zugehörigen Skizze präzisiert: Lüdenscheid kommt ein sattes 10-Kilo-Gewicht zu. Daneben nehmen sich Dortmund (ein Kilogramm), ja selbst die Kunstmetropolen Köln und Düsseldorf als Leichtgewiçhte aus. Bochum ist sogar nur durch eine Leerstelle repräsentiert. Wo ein Gewicht stehen müßte, tut sich das blanke Nichts auf.

Klar: Das ist stark übertrieben, ist Chuzpe, … Weiterlesen

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„Waldheim hat mich in den Nacken geküßt“ – furioses Interview mit Claus Peymann in der „Zeit“

Wien/Hamburg. (bke) In die vollen gegangen ist Wiens Burgtheaterdirektor Claus Peymann in einem gestern veröffentlichten Interview mit der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“. Schon der Einstieg ist stark. Peymann über Wien: „Wenn Sie wüßten, was für eine Sch.. . ich hier erlebe! Man müßte dieses Theater… abreißen lassen. Vielleicht schmeiße ich morgen schon alles hin.“

Peymann, der sich selbst als einen „Vergewaltiger auf der Probe“ bezeichnet, der „brutalste Gewalt“ anwende, um Schauspieler auf seine Linie zu zwingen, schont auch seine Regie-Kollegen nicht. George Tabori danach „eine absolute Sau in der Arbeit“, „ein Tyrann erster Güte.“ Klaus Michael Grüber (Schaubühne Berlin) sei eh nur „dauernd besoffen“, Dieter Dorn (Kammerspiele München) sei jemand, der „eine Inszenierung nach der anderen hinwichst“. In diesem Stil … Weiterlesen

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In der Höhle der Theater-Löwen – Diskussion über Kulturfinanzen im dritten Programm

TV-Kritik: „Mittwochs um acht“ (West 3; 20.00 Uhr)

In die „Höhle des Löwen“ wagte sich gestern abend NRW-Kultusminister Hans Schwier. Die Live-Diskussion aus dem Essener Grillo-Bau (Thema: Theaterkrise in NRW) führte ihn mit finanziell gebeutelten Theatermachern, darunter Essens Schauspielchef Hansgünther Heyme, zusammen.

Schwier hatte unlängst den Theatern „Versorgungsempfänger-Mentalität“ vorgeworfen, Heyme war am entschiedensten gegen Etateinschnitte aufgetreten. Als lautester „Löwe“ erwies sich jedoch Bochums Schauspielleiter Frank-Patrick Steckel, der zunächst – was man vielleicht noch ganz gut nachvollziehen kann – gegen Glitzer-Kultur à la „Starlight Express“ wetterte („Schrott“, „schäbiges Profitinteresse“), sich dann aber vollends in Unsachlichkeit hineinsteigerte: „Ich hab‘ Ihnen doch schon mal gesagt, Herr Schwier: Treten Sie zurück!“ Weitere Rundumschläge folgten.

Die anderen Theaterleute (Heyme aus Essen; Roberto Ciulli vom Mülheimer … Weiterlesen

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Totentanz und Trauermarsch – Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ in Bochum

Von Bernd Berke

Rostrote Häuserwände, Fenster wie Totenaugen; darüber ein fahlgelber Himmelsausriß. Die freudlose Gasse (Bühnenbild: Susanne Raschig) ist in Bochum Schauplatz von Ödön von Horváths Totentanz „Glaube Liebe Hoffnung“.

Zu Chopins Trauermarsch zieht eine aus, die Hoffnung zu verlernen: Elisabeth (Martina Krauel) betritt die Bühne voller Zuversicht, mit „Kopfhoch-Mentalität“. Doch sofort bricht sie zusammen. Ein stummer Prolog, der ihr Schicksal vorzeichnet.

Von bedrohlicher Unwirklichkeit die nächste Szene: Dem anatomischen Institut will Elisabeth ihre Leiche im voraus vermachen – und sofort 150 Mark kassieren. Im Elend der Wirtschaftskrise (das Stück wurde 1932 geschrieben) ist Elisabeth auf einen Wandergewerbeschein angewiesen. Aber die Gebühr dafür bekäme sie nur durch Arbeit, die dieser Schein ja erst ermöglichen soll – Teufelskreis der Gesetze, in … Weiterlesen

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Wie die Lektüre Kunst und Leben beeinflußt – Bilder des Lesens bei den Ruhrfestspielen (und ein Beitrag des Fritz-Hüser-Instituts)

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Buch und Leser stehen im Mittelpunkt zweier Ausstellungen in der Kunsthalle Recklinghausen, die jetzt bei den Ruhrfestspielen – zusammen mit KollwitzDruckgraphik und DDR-Freizeitkunst – Bilder-Akzente setzen: Unter dem Titel „Magie des Buches“ werden rund 160 Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Objekte zum Thema ausgebreitet, und das Dortmunder Fritz-Hüser-Institut steuert die didaktische Schau „Alltag, Traum und Utopie“ bei (beide bis 3. Juli).

Zunächst zur Kunstausstellung, die zum Teil hochkarätige Exponate (Chagall, Corinth, Heckel usw.) enthält und sich auf Werke des 19. und 20. Jahrhunderts konzentriert. Nur Bilder, auf denen Bücher und Leser zu sehen sind? Langweilig, könnte man argwohnen. Doch dem zweiten und dritten Blick enthüllt sich, wie verschieden die Künstler mit dem Thema umgegangen sind.

Mal ist … Weiterlesen

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Käthe Kollwitz: Zwischen Leid und Aufstand

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Seltsame Wege der Geschichte: Um das Werk von Käthe Kollwitz, deren Hauptthema bekanntlich das Leid der Unterdrückten war, haben sich in den letzten Jahren vor allem Banken gekümmert, und zwar in Köln und West-Berlin. Unsere Museen haben sich da eher „bedeckt gehalten“.

Anders die Kunstinstitute der DDR – nicht natur-, aber gesellschaftsgemäß: Die DDR-„Akademie der Künste“ schickte ihre bedeutende Kollektion an Kollwitz-Druckgraphik bereits durch viele Länder. Jetzt sind die 124 Arbeiten, ergänzt um sechs Stücke aus anderen DDR-Sammlungen, erstmals in der Bundesrepublik zu sehen: bei den Ruhrfestspielen, im Vestischen Museum Recklinghausen (Hohenzollernstr. 12; bis 5. Juni. Katalog: 12 DM).

Alle großen Themen der Kollwitz kommen in der Druckgraphik (Radierungen, Holzschnitte, Lithographien) vor. Dazu gehört der – … Weiterlesen

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Kambodschas Geschichte als fünfstündiges Bühnendrama – Hansgünther Heyme inszeniert Hélène Cixous in Essen

Von Bernd Berke

Essen. Verkehrte Verhältnisse im Essener Grillo-Theater: Die Sitzreihen befinden sich im Bühnenraum, die Szene ist dort, wo sonst die Zuschauer Platz nehmen.

Wenn das Publikum die umgebaute Theaterstätte betritt, platzt es mitten in den Prolog der Gemüseverkäuferin Khieu Samnol (Astrid Gorvin) {Astriâ ‚Gorvin), die – wie auf einem Jahrmarkt – die Leiden des kambodschanischen Volkes ausruft. Gedränge und Geschiebe der Zuschauer, die Plätze sind nicht numeriert; und wenn man sitzt, muß man sich recken, um etwas zu sehen. Man kommt sich vor wie inmitten einer Volksmenge. Doch mit diesem Gefühl und den Klagen der Khieu Samnol hat das Volk auch schon ausgespielt. In den folgenden fünf Stunden ist es nur noch Manövriermasse.

„Die schreckliche, aber unvollendete Geschichte … Weiterlesen

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