Von Bernd Berke
Duisburg. „Ruhrdeutsch“, von dem selbst hochkarätige Wissenschaftler noch nicht so recht sagen können, ob es sich dabei um einen Dialekt handelt oder nicht, ist Thema einer Fachtagung, die gestern an der Universität Duisburg begonnen hat. Noch nie war das Thema in dieser Intensität Gegenstand einer wissenschaftlichen Diskussion.
Der Duisburger Germanistik-Professor Arend Mihm, der der WR einige Thesen der Ruhr-Mundartforschung erläuterte, wird als Tagungsleiter zusammen mit neun Kollegen aus dem Revier, dem Rheinland und Heidelberg die hiesige Mundart analysieren. Ein Tagungsteilnehmer reist sogar aus Gent an.
Was andernorts schon vor etwa 100 Jahren unternommen wurde, nämlich eine eingehendere Beschäftigung mit dem jeweiligen Heimatdialekt, kam an der Ruhr nur schleppend in Gang. Grund: es gab bis in die 60er Jahre keine Universitäten in dieser Gegend, die sich des Idioms hätten annehmen können. Außerdem wurde „Ruhrdeutsch“, obgleich als Mischsprache schon näher am erstrebten Hochdeutschen als das vorher gängige südwestfälische „Holzschuhdeutsch“, von Anfang an vielfach als „Proletensprache“ verunglimpft. Bemerkenswert, daß dies innerhalb der Region sogar noch mehr der Fall ist als in anderer Landstrichen. Prof. Mihm zur WR: „Viele haben hier ein schlechtes Gewissen, wenn sie diese Sprache verwenden. Dabei tun sie es eigentlich gern.“ Selbst Studenten, des Hochdeutschen in der Regel mächtig, verfielen außerhalb der Seminare in heimische Diktion, denn „das vermittelt mehr Vertrautheit, Entspannung und Solidarität als formvollendete Hochsprache“.
Prof. Mihm tritt einer weitverbreiteten Meinung entgegen: „Ruhrdeutsch ist kaum von der polnischen Sprache beeinflußt worden“, dementiert er. Nur einzelne Wörter, wie etwa „Mottek“ (Hammer) hätten sich gehalten, „und auch die kennt heute nur noch jeder Zweite“. Die Zuwanderung aus dem Osten in der Industrialisierungsphase des 19., Jahrhunderts, zugleich Geburts-„Stunde“ der Revier-Sprache, habe kaum mehr Spracheinfluß gezeitigt als heute die Anwesenheit türkischer Gastarbeiter. Die polnischen Einwanderer seien im Gegenteil sehr rasch auf „Deutsch“ getrimmt worden. Es habe im letzten Jahrhundert eine „antipolnische Hysterie“ und rigorose „Germanisierungsprogramme“ gegeben.
Ohne Komplexe „Fahkahte“ sagen
Obwohl „Ruhrdeutsch“ erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit existiert, bildeten sich schon bald markante Unterschiede von Stadt zu Stadt heraus, ja, in den größeren Städten hat die Sprache am einen Ende sogar oft eine andere Färbung als am entgegengesetzten.
Die Duisburger Zusammenkunft soll dazu beitragen, daß Ruhrdeutsch aus seinem –verglichen mit anderen Mundarten – Mauerblümchen-Dasein herauskommt. Prof. Mihm: „Die Wissenschaft muß diese Sprachform endlich genau so ernst nehmen wie jeden anerkannten Dialekt.“ Auch für den Deutsch-Unterricht ergäben sich aus dieser Aufwertung Konsequenzen: Zwar bleibe das Erlernen des Hochdeutschen weiterhin Ziel der pädagogischen Anstrengungen, doch solle „kein Schüler Komplexe bekommen, weil er ,Fahkahte‘ statt ,Fahrkarte‘ sagt“. Das täten nämlich praktisch alle Leute, die hier länger wohnen. Solange die Rechtschreibung dadurch nicht heillos durcheinander gerate, könne man ruhig beim mündlichen Ruhrdeutsch bleiben.
Von der Expertentagung soll auch die Öffentlichkeit etwas haben. Zwar wollen die Gelehrten beim Kolloquium unter sich bleiben, doch findet heute Abend, 20 Uhr, in der Duisburger Stadtbibliothek (Düsseldorfer Straße 5) eine Podiumsdiskussion statt. Neben Prof. Mihm nehmen der Mundart-Schriftsteller Ernst Frank sowie Presse- und Rundfunkvertreter daran teil.