Hand aufs Herz: Wer hat schon eine Schwiegermutter, deren Leben Stoff für einen glamourösen Film oder ein Musical böte? Der amerikanische Filmproduzent Ray Stark, 2004 in Westhollywood verstorben, war in dieser Hinsicht ein Sonderfall.
Die Mutter seiner Frau, eine gewisse Fanny Brice, kämpfte sich mit eisernem Willen von der kleinen jüdischen Komödiantin zum großen Broadway-Star hoch. Ihr wechselvolles Leben, das manchen privaten Tiefpunkt kannte, vertonte der Komponist Jule Styne in dem Musical „Funny Girl“, dessen New Yorker Uraufführung die blutjunge Barbra Streisand 1964 über Nacht berühmt machte.
Das Theater Dortmund, das einen verlässlichen Publikumsrenner dringend benötigt, reaktivierte jetzt das Produktionsteam von „Evita“, um „Funny Girl“ wirkungsvoll in Szene zu setzen. Regisseur Stefan Huber, Kostümbildnerin Susanne Hubrich, Choreograph Danny Costello und Bühnenbildner Harald B. Thor sparen dafür nicht an Aufwand. Damit die Revue rauschend sei, stehen für 25 Darsteller 150 aufwändige Kostüme bereit, 18 von ihnen allein für die Hauptdarstellerin. Mehr als 20 Szenenwechsel sowie schwungvolle Tanz- und Steppnummern erhöhen dieses Ausstattungsfest zu einem Feuerwerk fürs Auge. Statisterie, Chorsolisten und Gäste, unter ihnen etliche Musical-Darsteller, werfen sich lustvoll in die Show hinein.
Gleichwohl steht und fällt „Funny Girl“ mit der Besetzung der Titelpartie. Hier hat das Theater Dortmund einen entscheidenden, wunderbaren Glücksgriff getan. Klein von Statur, aber mit großer Stimme gesegnet, vollzieht Katharine Mehrling das Wunder des Willens nach. Vor unseren staunenden Augen und Ohren wächst sie von der Ulknudel zum Showstar – und weit darüber hinaus. Ihr gelingt das Porträt einer phänomenal starken Frau, die sich von nichts und niemandem unterkriegen lässt. Klassisch gewordene Songs wie „I’m the greatest star“, „People“ oder „Don’t rain on my Parade“ interpretiert sie in fließend mal auf Deutsch, mal auf Amerikanisch (mit deutschen Übertiteln). Was ihre klare Stimme dabei an Strahlkraft und Glamour entwickelt, braucht den Vergleich mit der großen Streisand nicht zu fürchten.
Die Dortmunder Philharmoniker, zu Beginn etwas unsortiert im Blech und dünn im Streicherklang, unterstützen die starke Hauptdarstellerin unter der Leitung von Jürgen Grimm zunehmend mit glanzvollem Sound. Der als TV-Serienstar angekündigte Bernhard Bettermann hat in der Rolle des Charmeurs und Spielers Nick Arnstein glaubhafte Wutausbrüche, bleibt stimmlich aber ein eher blasser Gegenpart. In den Nebenrollen tragen vor allem Marc Seitz (als Eddie Ryan), Hannes Brock (als Florenz Ziegfeld jr) und Johanna Schoppa (als resolute Mutter Rose Brice) liebevolle Charakterstudien bei.
Derweil spielt die großartige Katharine Mehrling mit ihrem komischen Talent ein weiteres As aus. Wenn Fannys Mundwerk mal wieder schneller ist als jede Überlegung, ist das naiv und entwaffnend zugleich. Die Liebhaber feinsinnig-intelligenten Humors seien indes gewarnt, denn in Dortmund liebt man es in dieser Hinsicht rustikal. Zum Glück besitzt die Liebesgeschichte zwischen Fanny und Nick eine dramatische Fallhöhe, die manch derben Schenkelklopfer vergessen hilft.
Termine und Informationen: http://www.theaterdo.de/detail/event/funny-girl/
(Der Artikel ist in ähnlicher Form zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen)