Verdammt gemütlich – Klaus Modicks „Krumme Touren“

…und dann gibt es Autoren wie Klaus Modick, die zwar wohl kein weltliterarisches Format haben, die einem aber mit den Jahren sehr ans Herz gewachsen sind. Dieser Mann ist klug, er schreibt stilsicher, solide und verlässlich, dabei anregend genug. Er ist seiner (inwieweit begrenzten?) Mittel bewusst und handhabt sie spürbar freudig und souverän. Nichts Verquältes ist ihm eigen.

Der 1951 gebürtige Oldenburger, der seit einigen Jahren wieder in seiner Heimatstadt lebt, gibt sich zudem sympathisch unarrogant und bodenständig. Er ist mit provinziellen und familiären Alltagsdingen vertraut, aber längst nicht darauf beschränkt. Überdies schätze ich ihn als Generationsgenossen, als wäre er ein etwas älterer, hie und da vorbildlicher Bruder.

Warum diese umständliche Vorrede?

Weil ich von seinem neuen Buch gelinde enttäuscht bin.

„Krumme Touren“ enthält 19 Erzählungen. Besähe man’s in der Buchhandlung nur flüchtig, so würde man ziemlich in die Irre geführt. Auf dem Umschlag prangt fast formatfüllend das Bild einer Audio-Kompaktkassette. Darauf haben die Leute (Jüngeren sei’s gesagt) früher mal ihre Lieblingsmusik aufgenommen. So eingestimmt, erwartet man ein zeitgeistig abgeschmecktes Generationen-Buch. Auch der Klappentext kündet von typischen Erlebnissen aus Kinder- und Jugendzeit – und die ersten Texte lösen dies auch ein. Doch schon bald schweift der Erzähler durch ganz andere Gefilde.

Anfangs geht’s um so aufregende Dinge wie die erste Kindergarten-Liebe, später um die Suche nach „schweinischen Stellen“ in den elterlichen Buchbeständen, die Peinlichkeit der Tanzstunden (kulminierend im Abschlussball), um den mit heißem Herzen ersehnten Erwerb des „Weißen Albums“ der Beatles. Die Jahre, die ihr kennt. Jaja, genau so war’s: Tatsächlich findet man eigene Erlebnis-Valeurs bis in feinere Verästelungen wieder.

Doch ins heimelige Gefühl schleicht sich schon hier eine Spur von Unbehagen: Wird da nicht allzu beruhigt und betulich berichtet? Prasselt nicht ein imaginäres Kaminfeuer, wenn Modick frühere Urlaube wie in einem nostalgischen Bilderbuch aufblättert? 50er Jahre: Mit dem „Käfer“ der Eltern an die Nordsee, Blumenvase an der Windschutzscheibe. 60er und 70er Jahre: Im nunmehr obligatorischen VW-Bus mit Freaks und Joints unterwegs. Alles Individuelle, Bezeichnende scheint im Wabern solcher Generations-Gemeinschaft zu verschwinden. Aber vielleicht verhält es sich ja auch wirklich so, dass niemand allzu besonders ist, sondern alle beinahe restlos in ihrer Zeit aufgehen…

Dennoch hakt sich der Eindruck fest: Wenn „Großvater“ erzählt, wird’s verdammt gemütlich – aber nicht sonderlich aufschlussreich. Dann lauten Sätze über einen LSD-getränkten Frankreich-Trip auch schon mal so: „… und die Sonne der freien Liebe wärmte uns die Herzen beziehungsweise Hosen.“ Modick muss sehr erinnerungs- und/oder weinselig gewesen sein, als ihm dies unterlaufen ist. Doch er schwächelt auch im weiteren Verlauf des Bandes gelegentlich. Man erhofft sich von einem Schriftsteller seiner Liga beispielsweise originellere, genauere Bilder als dieses: „…rollte Donner über das Watt, und dann stürzte das Wasser wie aus Eimern gegossen vom Himmel.“

Die weiteren Geschichten sind von schwankender Qualität, sie ranken sich um dies und das und irgendwas. Sie wirken wie aus verstreuten Notizheften herbeigeholt, als hätte die Frage gelautet: Wie viele Seiten müssen wir noch füllen, bis es ein ordentlicher Band ist? Vor allem die Buchdeckel halten dieses Buch zusammen, weniger die Inhalte.

Einen Generationen-Bruch markiert am deutlichsten die Story, in der Gitarrengott Jimi Hendrix auf die Erde zurückkehrt und im elenden Talentschuppen DSDS scheitert. Etwas wohlfeil und vergilbt wirkt auch die Gegenüberstellung traditionellen Webens im ländlichen Italien und in einer Nordhorner Fabrik, wo ausgerechnet italienische „Gastarbeiter“ schuften. Die industrielle Entfremdungsstudie spielt anno 1964 und soll vielleicht just die vordem in der gleichen Zeit angesiedelte Nostalgie konterkarieren.

Es folgen u. a. eine Spökenkieker-Geschichte aus dem ostfriesischen Watt (recht altbacken), sodann – als arg konstruierte Liebes-Irrtümer – die vertrackten Phantasien eines Ehemannes über seine vermeintlich untreue Frau (Stoff für eine landsübliche ZDF-Komödie um 20.15 Uhr?) sowie eine wüste Groteske bzw. Räuberpistole über ein Date mit einer Blondine. Ferner erfahren wir, wie ein gutgläubiger deutscher Germanist in Japan an die Mafia gerät, wie absurd eine Kulturstiftung mit einem Künstlernachlass verfährt, warum man in der Ferne Heimweh nach deutschem Fußball haben kann und wie man im postmodernen Tokio in meditative Trance verfällt. Gedrechseltes Zitat: „Ich war gleichgültig und durchlässig, alles war gleich gültig durch Lässigkeit…“ Naja.

Kein schlechtes Buch, jedoch nur ein mittelprächtiges. Modick ist sonst besser, mehr auf der Höhe seiner selbst. Gewiss: Man schmunzelt immer mal wieder und lässt sich ja auch manches gern auftischen. Doch muss es denn nahezu durchweg so brav und so treuherzig sein? Zu wenig krumme Toren!

Klaus Modick: „Krumme Touren“. Erzählungen. Eichborn Verlag, 240 Seiten, 18,95 Euro.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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