Chapeau für einen der Großen im Musikgeschäft – Udo Jürgens in Oberhausen

„Udo Jürgens? DU gehst zu Udo Jürgens? Freiwillig?“ So ungefähr darf man sich die Reaktionen auf mein erklärtes Vorhaben vorstellen, zum Oberhausener Gastspiel des Entertainers zu gehen.

Und auch der ein oder andere Leser wird sicher irritiert eine Augenbraue hochziehen, denn bisher bin ich wohl eher als inoffizielle Punk-Rock-Beauftragte dieses Kulturblogs aufgefallen. Aber ja – ganz freiwillig war ich mit einer Freundin bei diesem Konzert. Unsere Motive waren zwar eher privat begründet, aber das tut hier nun mal nichts zur Sache, wenngleich es erfreuliche Beweggründe waren.

Aber wenn ich schon einmal da war, kann ich auch davon berichten. Denn lohnenswert ist Udo Jürgens live allemal, auch wenn der eigene Musikgeschmack eigentlich ein ganz anderer ist. Meine Erwartungshaltung war es, ein Stück deutsche Musikgeschichte einmal live zu erleben und eine perfekte Show zu sehen. Denn für perfekte Shows habe ich – ungeachtet des Stils – ein Faible, ist doch gerade das vermeintliche Leichte so schwer perfekt darzubieten.

Das Fazit vorweg: Unsere Erwartungshaltung wurde nicht enttäuscht, ganze drei Stunden boten Udo Jürgens und das Pepe Lienhard Orchester perfekte Unterhaltung. (Nur so zum Vergleich: Unser Sohn war neulich in den Westfalenhallen bei einem Konzert des hochgelobten Rappers Macklemore, der hatte bereits nach anderthalb Stunden fertig, zum selben Konzertkartenpreis wohlgemerkt).

Udo Jürgens live ist etwas ganz anderes als ein Fernsehauftritt des Entertainers, es ist eine ganz andere Welt, in die Udo Jürgens auf der Bühne sein Publikum mitnimmt. Eine Welt, in der Lieder die Menschen verbinden und auf die er seine Fans schon mit einem grandiosen Opening einstimmt. Die Halle ist dunkel, auf der Leinwand erscheint eine Weltkugel, das Orchester spielt, man hört seine Stimme „Die Welt braucht Lieder“ singen und dazu sehen wir eine virtuelle Weltreise. Das Konzert hat noch gar nicht wirklich angefangen und man schluckt bereits den ersten Kloß im Hals herunter.

Danach geht es zunächst gemächlich weiter. Gassenhauer haben erst im letzten Teil des Konzerts ihren Platz. Das ist wohl in jedem Musikgenre gleich. Zunächst präsentiert Udo Jürgens Lieder, die durchaus dem Anspruch eines Chansons genügen, sowohl aus seinem neuen Album „Mitten im Leben“ als auch aus den vergangenen Jahrzehnten.

Thematisch ist er breit aufgestellt, gerne auch mit aktuellem Bezug wie im „gläsernen Menschen“, wo er sein Publikum eindringlich vor zuviel Naivität im Umgang mit „Neuland“ warnt. Bei Udo Jürgens hat Unterhaltung eben auch immer mit Haltung zu tun. Auch wenn manche Wahrheiten wie die, dass man seine Fehler gefälligst erstmal bei sich selbst suchen soll, schlicht sind – es bleiben dennoch Wahrheiten. Es entbehrt auch nicht eines gewissen Charmes, wenn der Grandseigneur seinem gutsituierten Publikum ins Gewissen redet. Einer muss es ja machen.

Das heißt nicht, dass seine Hits zu kurz kommen, ganz und gar nicht. Fast alle bekannten Stücke kamen zumindest in Medleys zu Gehör, manch altes Schätzchen wie das fast 50 Jahre alte „Und immer wieder geht die Sonne auf“ kam zu neu arrangierten Ehren. In seinen Ansagen betonte Udo Jürgens, dass er seine Hits nach wie vor gerne singt, für ihn sind es Lieder, denen er viel verdankt und für die er sich niemals schämen würde.

Dabei wird aber durchaus die Gelegenheit genutzt, den oder anderen Hit ganz anders arrangiert zu bringen. Wenn beispielsweise der – mich über die Jahrzehnte zuverlässig nervende – „Griechische Wein“ als Ballade gesungen wird, fällt tatsächlich doch mal auf, welch bewegenden Text dieses Lied hat und man kommt nicht umhin, den Vergleich mit BAP’s „Verdamp lang her“ zu ziehen. Welch grandiose Missverständnisse der Popgeschichte diese Lieder doch sind. Welch bewegende, persönliche Texte und dann oft genug als Schenkelklopfer im Bierzelt genutzt. Schön, das mal so ganz anders gehört zu haben.

Seit 38 Jahren bestreitet Udo Jürgens seine Konzert nun mit dem Pepe Lienhard Orchester. Länger als die meisten Ehen dauern, wie der Sänger augenzwinkernd anmerkt. Zusammen alt geworden, zusammen perfekt geworden und geblieben. Von der ersten bis zur letzten Minute sitzt da jeder Ton, nichts wirkt abgenudelt, alles ist sorgfältig arrangiert und auf den Punkt dargeboten.

Exzellente Musiker hat er da um sich versammelt, die auch erfreulich viel Raum und Zeit bekommen. Erstaunlicherweise ist es nicht so, dass das Publikum keinem anderen Gott neben ihm huldigen darf. Viele Soli sind zu hören, auch andere Sänger bekommen eine Plattform, was vor allem den ausführlichen „New York“-Teil zu einem besonderen Erlebnis macht.

Zum Schluß gibt es natürlich die obligatorische Bademantel-Nummer, aber bitte – Rituale wolle gepflegt sein, vor allem, wenn man sie selbst erfunden hat. Und zugegeben: Ein Mann alleine am Flügel, dessen Stimme auch mit 80 Jahren noch eine Halle von der Größe der Arena Oberhausen mühelos trägt, das nötigt ja auch Respekt ab.

Nur folgerichtig, dass das Publikum den Entertainer euphorisch feierte. Aber mit so einem Lebenswerk darf man sich ruhig auch episch feiern lassen, das haben andere weit weniger verdient. Entsprechend gerührt und dankbar nahm Udo Jürgens diese Ehrbezeugungen auch an.

Auch wenn er immer sagt, dass er im Gegensatz zu anderen Künstlern seine letzte Tournee niemals ankündigen würde, er wird wissen, dass jede Tournee, jedes Konzert schon das Letzte sein könnte und es wird entsprechend zelebriert. Mit Respekt und Würde, aber auch mit Sentimentalität. Und wenn in 30 Jahren vielleicht meine Enkel noch zu „Ich war noch niemals in New York“ feiern, dann kann ich sagen „Ich hab‘ den Mann live gesehen und es war sehr beeindruckend“. Chapeau, Udo Jürgens.

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4 Antworten zu Chapeau für einen der Großen im Musikgeschäft – Udo Jürgens in Oberhausen

  1. Britta Langhoff sagt:

    Vielen Dank für den netten Kommentar! Ich habe seit gestern auch die ganze Zeit so das Gefühl von einer Ära, die zu Ende gegangen ist.

  2. Roland sagt:

    Was für eine schöne Rezension – gerade heute, am Tag nach seinem Tod! – Der Komponist des Deutschland-Soundtracks ist nicht mehr und ich bin sehr froh, auch sagen zu können: »Ich hab’ den Mann live gesehen und es war sehr beeindruckend« … auch wenn es nun schon 11 Jahre her ist!

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