Schrecklich nette Familie: „Umbettung“ von Jens Albinus in Köln uraufgeführt

Foto: Tommy Hetzel/Schauspiel Köln

Foto: Tommy Hetzel/Schauspiel Köln

Die Familie sitzt um das hölzerne Podest wie um einen überdimensionalen Küchentisch. Darüber hängen dänische Designerlampen. Doch die geschmackvolle Idylle (Bühne und Kostüme: Rikke Juellund) trügt: In dieser Patchwork-Familie ist nichts harmonisch.

Anlässlich der Umbettung der verstorbenen ältesten Tochter treffen Lili und Jorgen und ihre Töchter Katie und Liv nach langer Zeit wieder zusammen. Sofort gibt es Streit. Doch die wahren Familiengeheimnisse werden lieber verschwiegen…

Das neue Stück des dänischen Schauspielers und Dramatikers Jens Albinus wurde jetzt, von ihm selbst inszeniert, am Schauspiel Köln uraufgeführt. „Umbettung“ ist seine zweite Arbeit für das Haus und beleuchtet die Befindlichkeitsstörungen einer europäischen Mittelschichtfamilie. Doch vielleicht ist das zu zaghaft ausgedrückt, denn unter dem dünnen Firnis der Zivilisation lauert latent die Gewalt. Erst boxt Vater Jorgen den Freund seiner Jüngsten spielerisch in die Seite – plötzlich wird er rabiat, obwohl er eigentlich ein kranker Mann ist.

Ronald Kukulies spielt diese Gratwanderung zwischen selbstmitleidig und brutal grandios. Man kann sich durchaus vorstellen, dass er vor Jahren der ältesten, bei einem Unfall verunglückten Tochter Alma zu nahe gekommen ist. Doch dieser Verdacht wird nie wirklich ausgesprochen, die Geschichte nie aufgearbeitet in dem knapp zweistündigen Theaterabend. Und doch steht das Ungesagte unmittelbar und mächtig im Raum, denkt man sich als Zuschauer diesen Missbrauch und die rabiate Reaktion von Mutter Lili unweigerlich hinzu. Das ist eine magische Qualität dieses Textes, der vordergründig so normal und alltäglich daherkommt.

Denn Lili, berühmte Fotografin, hat es, während ihre drei Töchter (von drei verschiedenen Männern) klein waren, nie lange zu Hause ausgehalten. Ihr war das zu eng, zu familiär und vielleicht wollte sie eben auch nicht hinsehen, dass ihr Mann die Älteste ein wenig zu sehr mochte? Ihre Schuldgefühle münzt sie aber sofort in Aggressionen um, brüllt Jorgen an, der ihr nach vielen Jahren Trennung in nur wenigen Minuten sofort so schrecklich auf die Nerven fällt, dass sie sich erst einmal von Toby einen Joint schnorren muss. Birgit Walter spielt diese immer noch arrogante und egozentrische Frau so realistisch wie im Fernsehkrimi. Ihre Eloquenz aber auch ihre Unsicherheit, die sich offenbart, wenn sie es nicht einmal schafft, ihre Töchter einfach in den Arm zu nehmen.

Katie (Melanie Kretschmann), die Mittlere, hat es eigentlich am Schlimmsten erwischt: Jede Zurückweisung der Mutter führt zur prompten Selbstverletzung: Mit dem Feuerzeug versengt sie sich den Unterarm, mit dem Autoschlüssel ritzt sie sich die Handgelenke. Nur Liv (Henriette Nagel), die Jüngste, will auf heile Welt machen: Trauerrituale durchführen, alte Filme schauen, zusammen essen. Doch auch sie kann dem Familienwahnsinn schlecht entkommen. Statt mit Freund Toby (Sean McDonagh) eine eigene Zukunft zu planen, lässt sie sich vom Vater einwickeln und bleibt bei ihm. Da hilft auch ihr verzweifelter Versuch nicht, das Haus anzuzünden, um Geld von der Versicherung zu bekommen und damit in die Unabhängigkeit zu starten. Denn ihr Vater verschenkt dieses gleich an die Flüchtlingsinitiative nebenan, der er zuvor noch misstrauisch gegenüberstand. Er fürchtete immer, Kabelbrände von dort würden auf sein Haus überspringen. Dabei hat seine eigene Familie den Brand selbst gelegt.

Fast hat man den Eindruck, Albinus‘ abgründiges Kammerspiel sei zu perfekt gebaut. Das Netz, in das diese Familie verstrickt ist, wirkt so eng geknüpft, dass es beinahe unrealistisch anmutet. Nur eines nutzt der Autor und Regisseur nicht: Videofilme. Wir hören nur das Geräusch des ratternden Projektors, wie er die Super-8-Streifen von damals abspielt, die Bilder werden uns vorenthalten. Doch das verstärkt nur die Horrorvorstellungen in unseren Köpfen…

Infos und Termine: www.schauspielkoeln.de

 

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1 Antwort zu Schrecklich nette Familie: „Umbettung“ von Jens Albinus in Köln uraufgeführt

  1. no name sagt:

    Genau wie meine schrecklich nette Familie …

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