Malen bis zur großen Finsternis – Ahlener Werkschau über Julo Levin, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde

Von Bernd Berke

Ahlen. Er wurde 1901 in Stettin geboren, kam 1919 nach Düsseldorf und verstand sich fortan als Rheinländer. Auf die Idee, dass Deutsche ihn eines Tages ausgrenzen oder gar verfolgen könnten, kam der aus einer Familie jüdischen Glaubens stammende Maler Julo Levin bis zum Jahre 1933 nicht.

Im Umkreis der Künstlervereinigimgen „Junges Rheinland“ und „Rheinische Sezession“ hatte er sich einen Namen gemacht, hatte mit Kollegen wie Johan Thorn Prikker und Heinrich Campendonk regen Austausch gepflegt.

Doch schon bald nach der NS-Machtergreifung wurde er mit einem Mal- und Ausstellungsverbot verfemt. Eines seiner letzten Bilder heißt „Hiob“ (1933/34) und zeigt die geschundene Biblische Gestalt; zu Boden geworfen, schutzlos ausgeliefert.

Mehrfach wurde Levin, der gewisse Sympathien für den Kommunismus hegte, verhaftet und verhört. Mit Kunstunterricht an jüdischen Schulen verdiente er noch einige Jahre in Berlin ein karges Brot. Emigrieren wollte der schmächtige, schüchterne und erschütternd selbstlose Mann nicht – um keine etwaigen Helfer in Gefahr zu bringen. Im Mai 1943 brachten ihn die Nazis im Konzentrationslager Auschwitz um.

Eine couragierte Freundin konnte die meisten seiner Bilder retten und aufbewahren. Sonst wüssten wir vielleicht gar nichts mehr von ihm.

Wenn jetzt das Kunst-Museum Ahlen eine 135 Arbeiten umfassende Levin-Retrospektive zeigt, ist dies kaum als (ohnehin unmögliche) „Wiedergutmachung“ zu verstehen. Museumsleiter Burkhard Leismann stellt den Künstler nicht in die erste Reihe der Genies, attestiert aber eine beachtliche „Qualität auf den zweiten Blick“.

Levin mag zum Umfeld des Expressionismus gezählt werden, doch sein Oeuvre greift weiter aus, verzweigt sich zu etlichen Ansätzen. Auch die nüchterne Sicht der Neuen Sachlichkeit spricht aus einigen Bildern, zuweilen frappierend modern auch für heutige Begriffe. Wer weiß, was dieser Künstler noch vermocht hätte…

Gewiss: Anfangs wirkt manches noch recht „akademisch“ oder gar ein wenig unbeholfen in Formfindung und Farbauftrag, auch zwischendurch sieht man die eine oder andere etwas lau geratene Arbeit. Doch bei einem Besuch in seiner Geburtsstadt Stettin findet Levin zu einem seiner Hatuptthemen, nämlich den Hafenszenen – mal dynamisch-lebendig aufgefasst, meist jedoch melancholisch mit gedämpften Tönen, leisen Akkorden.

In seiner wohl beseeltesten Zeit greift er dieses Genre wieder auf: 1931 reist er nach Marseille, freut sich an Wärme und Buntheit, würde gern lange verweilen, kann es sich aber finanziell nicht erlauben. Hier entstehen jene Bildnisse von Hafenarbeitern und anderen Menschen, die eine höchst geglückte Balance zwischen Sozialstudie und individueller Charakterisierung halten. Zu manchen rhythmischen Farbklängen würde Jazz sich bestens fügen. Kunst auf der Höhe ihrer Zeit.

Bewegend auch ein Anhang zur Ausstellung. Levin hat Zeichnungen der Kinder gesammmelt, die er in jüdischen Schulen unterrichtete. Aus einem Bestand von rund 2000 Blättern (Fundus des Stadtmuseums Düsseldorf) zeigt Ahlen eine Auswahl. Die Kinder malten auch deutsche Mythen wie das Hermannsdenkmal oder illustrierten Balladen von Uhland und Schiller. Doch auch hier gibt es ein geradezu emblematisches „Hiob“-Bild von Ilse Marx. Das Mädchen hatte offenkundig großes Talent. Auch dieses hoffnungsvolle Leben wurde vernichtet.

Kunst-Museum Ahlen/Westfalen, Weststraße 98. Vom 17. Feb bis 28. April. Di/Do 15-18, Mi/Fr 15-19, Sa/So 10-18 Uhr. Kataloge 25 Euro (Julo Levin) und 18Euro (Schülerbilder).

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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