„Mit Klassik allein kann man kaum Geld verdienen“ – Gespräch mit dem Dortmunder Konzerthaus-Chef Ulrich Andreas Vogt

Ulrich Andreas Vogt (50) wirkt ein wenig gestresst. Er hat wieder mit dem Rauchen angefangen. Für den Intendanten des Dortmunder Konzerthauses, das vom 13. bis 15. September feierlich eröffnet und dann manchen musikalischen Weltstar hierher führen wird, ist jetzt die ganz heiße Arbeitsphase angebrochen.

Westfälische Rundschau (WR): Wie sieht ihr Pensum im Endspurt vor der Eröffnung aus?

Ulrich Andreas Vogt: Gestern war ich um kurz nach fünf Uhr morgens im Haus, und spät abends nach elf habe ich es verlassen. Das Protokoll für die Eröffnung, für den Besuch des Bundespräsidenten steht auf der Tagesordnung. Dann die Baustelle; die Planungen für die nächste und übernächste Saison…

WR: Ihre Gemütslage?

Vogt: Aufgeregt natürlich. Meist kommt man ja auch gar nicht dazu, sich Gedanken über sich selbst zu machen. Man hangelt sich von einem Problem zum anderen.

In Westfalen fehlt noch eine richtige Konzertstätte

WR: Wie schätzen Sie die Konkurrenz im Konzertleben ein? Bochum und Essen planen Philharmonien, in Köln gibt es längst eine.

Vogt: Der Kuchen ist nur einmal zu verteilen, aber ich meine: Der Kuchen wurde noch gar nicht richtig gebacken in dieser Region. In Westfalen fehlt bisher ein richtiger Konzertsaal. Wir haben zudem ein anderes Einzugsgebiet als Köln. Bei uns sind es Sauerland, Siegerland, Münsterland, Soester Börde. Der Essener Saalbau ist als Mehrzweckhalle konzipiert. Wir konnten uns auf die Konzert-Akustik konzentrieren.

WR: Und Bochum?

Vogt: Dort wird sich das Problem der Finanzierung stellen. Ich weiß, dass wir in Dortmund einen solchen Ratsbeschluss heute nicht mehr hinkriegen würden.

WR: Im Konzerthaus wird es nicht nur „E-Musik“ geben. Welche Rolle spielen Jazz, Revue, Pop und Musical?

Vogt: Eine große. Inhaltlich wie finanziell. Wir wissen sehr wohl, dass man mit bestimmten Sparten ernster oder klassischer Musik nur sehr schwer Geld verdienen kann. Das müssen wir ausgleichen – mit unserem Roncalli-Programm, mit der Christmas Show. mit Musical-Elementen. Zur Zeit planen wir ein Weltmusik-Projekt mit dem Popsänger Sasha. Das alles ist Kunst. Wir werden keine Schundware verkaufen. Leonard Bernstein hat gesagt: „Es gibt keine E- und U-Musik, es gibt nur gute oder schlechte.“

Siebtgrößte Stadt auf Platz 147 bei den Kulturausgaben

WR: Was halten Sie Kritikern entgegen, die die 94,3 Millionen D-Mark Baukosten fürs Konzerthaus beklagen?

Vogt: Dortmund ist die siebtgrößte Stadt der Bundesrepublik. Bei den Kulturausgaben pro Kopf stehen wir auf Platz 147. Ein Vakuum! Ein Konzerthaus gehört so zur Bildung wie eine Universität. Es reicht nicht aus, nur Schulen und Krankenhäuser zu bauen. Der Umbau des Essener Saalbaus ist erheblich teurer, 140 Millionen Mark. Ich denke immer noch in Mark.

WR: Und die Folgekosten?

Vogt: Auch relativ günstig. Wieder in Mark: Pro Jahr bekommen wir 7,7 Millionen an Subventionen, davon werden 3,9 Millionen für Zinsen und Tilgung verwendet. Es bleiben weniger als 3 Millionen für den Spielbetrieb übrig.

WR: Wie viele Abonnenten haben Sie gewonnen?

Vogt: Wir sind bei 2360, davon 60 Prozent aus dem Umland bis nach Lüdenscheid und Olpe. Auf 3000 wollen wir in dieser ersten Saison noch kommen. Wir streben eine durchschnittliche Platzausnutzung von etwa 78 Prozent an. Kammermusik liegt bei 56 Prozent im Soll, anderes dürfte ausverkauft sein.

Partituren und Bilanzen lesen

WR: Welchen Einfluss wird das Konzerthaus auf das Brückstraßen-Viertel haben?

Vogt: In den nächsten Jahren wird sich das Quartier stark verändern. Aber ganz fein muss es auch wieder nicht werden. Das Flair sollte erhalten bleiben. Kürzlich haben sich 96 Anrainer in einer Anzeige bei uns für die Aufwertung des Viertels bedankt – vom „Kartoffellord“ bis hin zum Sex-Shop…

WR: Sie sind Inhaber einer großen Firma für Gebäudereinigung. Wie lässt sich das mit der Intendanz vereinbaren?

Vogt: Ich bin immer zweigleisig gefahren, ich kann sowohl Partituren als auch Bilanzen lesen. Mit 13 war ich Theater-Statist. Als ich die Firma von meinem Vater übernommen hatte, habe ich an den Wochenenden Gesangs-Unterricht in Paris genommen und war später als Sänger an der Dortmunder Oper engagiert. Irgendwann wurde das zuviel. Jetzt bin ich praktisch aus der Firma ‚raus. Sie gehört mir zwar noch, wird aber von zwei Geschäftsführern geleitet. Das Unternehmen gibt mir jedoch soziale Sicherheit: Ich könnte jederzeit zurückgehen, wenn die Politiker etwas von mir verlangen, was ich künstlerisch nicht vertreten kann.

Konzerthaus-Tickets: 01805/ 44 80 44 oder 0231/22 696 222

(Das Gespräch führte Bernd Berke)

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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