Funkelnd und fruchtig: „Sinn und Sinnlichkeit“ – flämische Barock-Stillleben in der Essener Villa Hügel

Von Bernd Berke

Essen. Die Stillleben-Gattung gilt manchen als öde: Blumen über Blumen häufen sich da; allerlei Speisen, etliche tote Tiere und Krüge oder Trinkgläser füllen die Gemälde. Da regt sich doch nichts.

Doch wer so drauflos denkt, hat diese Ausstellung noch nicht gesehen: Die üppige Schau flämischer Stillleben von 1550 bis 1680, die nun in der Essener Villa Hügel gastiert, ist bunt und fruchtig wie das pralle Leben.

Hinter barocker Wohlstands-Pracht lauert zwar allemal die Vanitas, also Vergänglichkeit. Doch anders als die eher nüchternen Holländer, haben die katholisch geprägten Flamen dieser Einsieht die Krone der Hoffnung aufgesetzt – oft unscheinbar: Eine Ähre über dem Totenschädel, das bedeutete nach damaligem Verständnis die Gewissheit der Auferstehung.

110 Werke aus vielen großen Sammlungen der Welt kann die Kulturstiftung Ruhr jetzt vorweisen. Der entlehnte Titel „Sinn und Sinnlichkeit (Roman von Jane Austen, Verfilmung desselben) trifft den“doppelbödigen Sachverhalt recht gut: Die Bilder sprechen alle Sinne an, und dahinter verbergen sich tiefere Sinn-Schichten, mit denen Kunsthistoriker sich plagen.

Eine Frau bleibt lieber im Hintergrund

Aufschlussreich dargelegt werden auch Grenzbereiche zu anderen Gattungen wie dem Genrebild oder der Historienmalerei. Hier kommt Peter Paul Rubens zum Zuge, von dem u. a. eine wahre Horror-Vorstellung zum Medusa-Mythos zu sehen ist.

Bemerkenswert: Neben all den Brueghels, Hoefnagels und de Heems ist auch eine der seinerzeit raren Malerinnen vertreten: Clara Peeters hielt sich freilich persönlich im Hintergrund. Ein einziges Selbstbildnis hat sie geliefert – mikroskopisch klein als Spiegelung in einem Tischgefaß…

Gründungsbild der Stillleben-Gattung, die anfangs in der künstlerischen Hierarchie als „niedrig“ galt, ist Pieter Aertsens „Speisekammer mit Maria, Almosen verteilend“ (1551). Die Heiligen-Szene rückt hier weit in den Hintergrund, wird beinahe blasphemisch verborgen hinter einem Schweinskopf. Doch nicht das biblische Geschehen sollte geschmäht werden, sondern umgekehrt: Der Künstler staffierte Produkte des Fleischerhandwerks mit Zeichen allerhöchster Würde aus – zwiespältig genug.

Am liebsten in die Bilder beißen

Den frappanten Augentäuschungen, diesen Vexierspielen zwischen Realität und Abbildung (Fachbegriff: trompe l’oeil) widmet man eine eigene Raumflucht. Cornelis Norbertus Gijsbrechts fügte veritable Scharniere und Schlösser in seine Bilder ein – erstaunlich frühe Vorform des neuzeitlichen Materialbildes.

Doch so sehr die Gläser auf manchen Bildern auch funkeln, so mundgerecht die Trauben auch hängen und prangen (hie und da möchte man am liebsten in die Bilder beißen, was natürlich strikt verboten ist), so handelt es sich doch nur selten um bloße Natur-Nachahmung. Vermeintliche Insekten-Forscher unter den Malern haben in Wahrheit vielfach Phantasietiere ersonnen. Und wenn etwa Adriaen von Utrecht für ein Jagd-Stillleben erlegtes Wild arrangiert, so tut er dies ganz im Sinne künstlerischer Komposition, auf dass sich eine „schöne Linie“ ergebe.

Häufig erotische Hintergedanken

Apropos Tiere. Bei den sinnenfrohen Flamen gab es kaum ein Lebewesen ohne erotische Anspielung. In abendlicher Weinrunde hat man damals frivol über derlei Gemälde-Finessen geredet. Gewisse Fisch-Teile verweisen so unmissverständlich aufs weibliche Genital wie Artischocken oder Austern. Kein Witz: Der Hase weckte derbe Hintergedanken ans „Rammeln“, der Vogel gemahnte buchstäblich ans „Vögeln“ Da sieht man doch die Bilder von Fischmärkten und Tafelfreuden gleich mit ganz anders geweiteten Augen…

1. September bis 8. Dezember. Villa Hügel, Essen. Katalog 30 Euro.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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