Moral und Geschnatter im Garten Eden – Karin Beier inszeniert Neil LaButes „Das Maß der Dinge“ in Bochum

Von Bernd Berke

Neil LaBute („Bash“) gilt als einer der stärksten US-Dramatiker seit Edward Albee. Klar und einfach sind seine Stücke gebaut, zugänglich wie sonst nur wenige. Doch Vorsicht! Der Mann verdingt sich gern als szenischer Minenleger.

Man merkt erst allmählich, dass sich in seinen Texten Sprengsätze verbergen – so zuweilen auch in „Das Maß der Dinge“ (Original: „The Shape of Things“). Karin Beier hat den boulevardesken Vierpersonen-Reigen als deutsche Erstaufführung für die Bochumer Kammerspiele inszeniert.

Der gar schüchtern-unscheinbare Museumsaufseher Adam ertappt die Kunststudentin Evelyn beim Übersteigen einer Absperrung. Unumwunden gibt sie zu, sie wolle das Gemächt einer Feigenblatt-Statue mit Farbspray zur grellen Kenntlichkeit markieren – Vandalismus oder ein Akt der Aufklärung? Jedenfalls eine Verwandlungsabsicht nach Gutdünken.

Adam schaut schließlich geflissentlich weg, nachdem Evelyn (also: Eva) ihm ihre Telefonnummer in die schäbige alte Jacke gesprüht hat. „Paradise revisited“: Wir sind mal wieder zu Besuch im Garten Eden, und der Sündenfall erneuert sich zwischen Bonbonfarben und pelzigen Kakteen (Bühne: Julia Kaschlinksi).

Frisch gestylt zum Seitensprung

Mit biblischer Fracht ist’s nicht genug, denn fortan kommt der alte Pygmalion-Mythos (populär durchs Musical „My Fair Lady“) zum Zuge, nur dass diesmal die Frau aktiv wird und alles (mitsamt Belohnungs-Sex) auf Video festhält: Evelyn formt sich diesen Adam nach einem Wunschbild, das sich letztlich in sämtlichen Paarungen des Westens regen dürfte. Neue Frisur, neue Schickimicki-Jacke, Kontaktlinsen statt Brille, Fitness-Übungen, Diät, operative Nasenkorrektur; das ganze Programm – bis Adam ein smarter Heini der ziemlich durchschnittlichen Sorte ist.

Später, im Hörsaal. wird uns Evelyn den Hintergrund ihrer Maßnahmen erläutern. Am Ende geht alles reichlich restlos auf wie eine Gleichung. Etwas mehr Reibung wäre nicht übel.

Komödiantische Typisierung

Man ahnt dennoch, dass Adams Mutation im Sinne eines Identitäts-Raubes ein „kannibalischer“ Vorgang ist. Leider tischt uns LaBute eine überdeutliche Botschaft geradezu puritanischen Zuschnitts auf: Wer so gefällig zugerichtet wird, der nehme zwangsläufig Abschied von Aufrichtigkeit und Moral. Merke zudem: Kunst kennt gleichfalls keine Moral, sie ist exhibitionistisch, will sich nur zeigen. Und so traut sich der frisch gestylte Adam nun auch, die bislang unerreichbar scheinende Jenny zu küssen (und mehr), obwohl er doch offenbar mit Evelyn liiert ist, und obwohl Jenny sich anschickt, seinen Kumpel Phillip zu heiraten. Die konfliktträchtige Vierer-Konstellation wird in etlichen Dialog-Schüben durchgespielt, als sei’s eine chemische Versuchsanordnung.

Karin Beier scheut kaum eine komödiantische Typisierung. Evelyn (Nele Rosetz) sitzt so angespitzt und steil wie eine Rakete im Sessel, ihre stets „schussbereite“ Schnute kündet von Willkür und Anmaßung. Jenny (Angelika Richter) hingegen muss unentwegt x-beinig über die Szenerie staksen. Selbst nach einern rührenden Bekenntnis zur Stinknormalität geht sie trippelnd ab, so dass es doch wieder zum Kichern ist. Phillip  (Patrick Heyn) geriert sich als ungebrochener Macho mit großspurigen Gesten. Doch Martin Lindow als Adam darf zu einem ganz eigenen Tonfall zwischen Naivität des reinen Toren und über allem schwebender Einsicht finden. Das lasst, in all dem gewöhnlichen Geschnatter, immer wieder aufhorchen.

Termine: 26. Okt, 1., 12., 16., 21. und 29. Nov. Karten: 0234/3333-111.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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