Die Leiden des Unternehmers: Peter Handke in Bochum

Foto: Pinetzki

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„Egal was du machst – mach das einzig Wahre“, spricht Unternehmer Hermann Quitt resigniert und bleibt einfach sitzen, während die Drehbühne ihn weiter und wegdreht. Mit diesem Werbespruch einer Brauerei endet in Bochum Peter Handkes „Die Unvernünftigen sterben aus“.

Wäre es nach Handke gegangen, hätte Protagonist Quitt den Abend nicht überlebt – im Original schlägt Quitt seinen Kopf so lange gegen einen Fels, bis er reglos liegen bleibt. Das Überleben aber, soviel wird klar, ist für den erfolgreichen, aber an sich selbst scheiternden Unternehmer nicht unbedingt die gnädigere Variante.

Vor zwölf Jahren stand Handkes Stück über den unglücklichen Kapitalisten Quitt zum letzten Mal auf dem Bochumer Spielplan, damals in einer Inszenierung des Publikumsschrecks Jürgen Kruse. Der junge Regisseur Alexander Riemenschneider (Jahrgang 1981), der die Premiere in den Kammerspielen verantwortete, verstörte mit seiner Inszenierung wohl niemanden mehr.

Unternehmer Quitt (Matthias Redlhammer) steht bei ihm am Rande des Burnouts. Er verabredet mit seinen Mitbewerbern ein Kartell, hält sich jedoch an keine Absprache und ruiniert seine Geschäftspartner. Antrieb ist jedoch weder Gier noch Bosheit: Quitt scheint sich mit seinem Handeln selbst strafen zu wollen. Voller Ekel liefert er sich den Regeln des Kapitalismus bis zum bitteren Ende aus. Handelt er nun vernünftig oder unvernünftig, indem er sich der Logik des ökonomischen Systems konsequent unterwirft? Klar ist nur: Auf die Vernunft berufen sie sich alle in diesem Stück.

„Die Unvernünftigen sterben aus“ ist eigentlich ein (Geschäfts-)Beziehungsdrama, das Psychogramm einer Gesellschaftsschicht, in der Menschen immer nur Mittel zum Zweck sind. Da ist Diener Hans (Roland Riebeling mit blasiertem Blick), der als Quitts Sparringpartner bezahlt wird. Da sind die Unternehmerfreunde (Bernd Rademacher, Nils Kreutinger, Kristina Peters) und der Unternehmenspriester (Marco Massafra), denen es weder mit erotischen noch mit rhetorischen Manipulationen glückt, Quitt wieder auf Spur zu bringen. „Du ruinierst unseren Ruf, weil du dich genauso gebärdest, wie sich Otto Normalverbraucher einen Unternehmer vorstellt“, appellieren sie verzweifelt.

Und da ist ihr Widersacher, Kleinaktionär Kilb. Daniel Stock gibt ihn als dynamischen Systemkritiker, der mit seinem Engagement ständig mit voller Wucht ins Leere läuft. Mit großen Augen steht er wie ein Maskottchen stets am Rande des Geschehens, darf alles mithören und sehen – in der sicheren Gewissheit der Unternehmer, dass er eh nichts ausrichten können wird.

Geschäftliches und Privates sind hier untrennbar miteinander verzahnt; das zieht sich bis in Bühne und Kostüme fort: Quitt trägt Strickjacke zu Anzug und Krawatte (Kostüme: Lili Wanner), und die Drehbühne besteht aus zwei exakt gleichen Zimmern, die in ihrer modernen Gesichtslosigkeit gleichermaßen Vorstandsbüro und Wohnzimmer sein könnten (Bühne: David Hohmann).

Dann und wann geistert Quitts Frau (Judith van der Werff) durch die Zimmer und spielt die Rolle, die Handke ihr in diesem Drama zugedacht hat: keine, abgesehen vom Plappern, Kichern, Posieren.

In dieser durchökonomisierten Welt, in der Migranten „unsere Importe aus südlichen Ländern“ heißen und  Werbung als Lebenshilfe durchgeht, erinnern nur mehr kleine, Tic-artige Ausbrüche und Verrücktheiten daran, dass hinter diesen Unternehmerfiguren Individuen, Menschen stecken. Quitt zumindest scheitert daran, sich zu befreien. Desillusioniert erkennt er: Selbst wenn er es denn täte, das „einzig Wahre“ – dann folgte er doch nur wieder den Regeln der Ökonomie. Es gibt eben kein wahres Leben im falschen. Was daraus folgt, bleibt auch bei Riemenschneider offen.

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(Der Text entstand für den Westfälischen Anzeiger, Hamm)

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Über Katrin Pinetzki

Kaffeejournalistin, Kulturtante und umgekehrt. Arbeitet als Pressereferentin für Kultur in der Pressestelle der Stadt Dortmund.
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