Wer das große Nichts umkreist – Lars Gustafssons philosophischer Thriller „Der Dekan“

Von Bernd Berke

Manche Klappentexter aus Buchverlagen sollte man etwas zügeln. „Lars Gustafssons bester Roman“ – so wird „Der Dekan“ auf dem Einband angekündigt. Waren also alle bisherigen Bücher schlechter? Und: Welche volltönende Anpreisung gibt’s denn beim nächsten Werk?

Schwamm drüber. Jetzt geht es erst einmal um diesen „Roman“, der das Genre-Etikett nicht so recht einlöst. Denn es sind fragmentarisehe, ja streckenweise fetzenhafte Aufzeichnungen, mit denen uns der seit vielen Jahren in Austin/Texas lebende, für sein bisheriges Werk verehrungswürdige Schwede konfrontiert. Hinzu kommt ein alter Literaten-Trick: Die Texte werden als gerettete, teilweise beschädigte Überbleibsel „aus Spencer C. Spencers Papieren“ ausgegeben.

Zu allem Überfluss herrscht Konfusion beim fiktiven Urheber. Immer wieder betont dieser Spencer, dass er gar nicht mehr wisse, wo anfangen und aufhören mit seinen Aufzeichnungen. Kurzum: Das Ganze fasert dermaßen aus, dass man vor manchen Rätseln steht. Vor welcher schrecklichen Erfahrung ist Spencer in eine Pension am Rande der Wüste geflohen?

Rätsel und Mysterien zuhauf

Bis dahin war er jedenfalls Philosophie-Professor just in Austin – und zuletzt rechte Hand des mächtigen Dekans der Fakultät. Um Letzteren werden nun einige Mysterien gewoben: Er ist an den Rollstuhl gefesselt, scheint aber allgegenwärtig (und allwissend) zu sein. Doch immer, wenn’s konkreter werden könnte, verlieren sich die Spuren, weil Spencers Manuskript beschädigt ist, mittendrin abbricht – und überhaupt, weil alles unbegreiflich zu sein scheint.

Sodann kommen dunkle schamanistische Praktiken ins (vor allem gedankliche) Spiel, mitsamt bewusstseinserweiternden Rausch-Pilzen. Der Dekan scheint in irgend einer geheimen Verbindung zu derlei Dingen zu stehen. Doch nichts Genaues weiß man nicht. Immerhin erfahren wir, dass der Dekan früher im Vietnamkrieg gekämpft hat – auf mörderischste Art. Nun also philosophiert er mit Spencer zuweilen stundenlang über das Gute und Böse, Gott und die Welt, Hölle und Paradies. Auch von einem faustischen Pakt ist irgendwann die Rede, den ein Fußballtrainer mit dem Teufel schließt, damit sein Team endlich mal gewinnt. Wenn Goethe das geahnt hätte!

Gustafsson umkreist in seiner wildwüchsigen Kreuzung aus Campus-Geschichte und Philosophie-Thriller das große Nichts und die umfassende Leere. Sowohl die Mathematik (Erfindung des „Null“-Wertes) als auch die Natur werden zu Zeugen aufgerufen, dass solche Leere gleichsam der Normalfall des Daseins sei. Ein nahezu nihilistischer Zustand, in dem dann fast alles möglich ist…

Zwischen Spannung und Düpierung

Auf anderer Ebene geht es um steinreiche Mogule der Technologie-Branche, die in Marmor-Palästen göttergleich auf den Bergen thronen. Einer von ihnen ist Spencers Cousin Derek, der seinem Verwandten einst keinen Cent fürs Studium leihen mochte und ihm hernach die Geliebte ausspannte. Den Kerl müsste man beseitigen, denkt Spencer. Und auch der Dekan hat einen solchen Feind. Vielleicht helfen ja schamanistische Mittel?

Gustafsson lässt die drohende Leere auch formal fühlbar werden. Man mag ihm diesmal nicht durch alle Windungen willig folgen, eben weil sie vielfach ins frustrierende Nichts führen. Doch man bleibt, obwohl öfters ins Vakuum geleitet, bis zur letzten Zeile dabei – geradewegs zwischen Spannung und Düpierung.

Lars Gustafsson: „Der Dekan“. Roman. Hanser Verlag. 190 Seiten. 17,90 Euro.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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