Von Luxus, Lust und Melancholie – Düsseldorfer Kunstsammlung NRW wartet mit famoser Matisse-Ausstellung auf

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Picasso ist in Deutschland leichter zu zeigen. Denn das Werk von Henri Matisse (1869-1954) wurde hierzulande häufig als bloß „bürgerlich dekorativ“ abqualifiziert. Das Urteil war wohl auch durch nationale Rivalitäten mit Frankreich getrübt. Jedenfalls haben sich hiesige Museen bis in jüngere Zeit mit Ankäufen zurückgehalten.

Umso erstaunlicher ist, was Düsseldorf nun aufbietet: Die Kunstsammlung NRW hat eine immense Fülle von Matisse-Werken zusammengetragen – dank guter Kontakte zu den großen Museen der Welt. Sollte der Ansturm dem Anlass entsprechen, so könnte das Haus gar logistische Probleme bekommen.

Wie bei Schauen dieses Formats üblich, will man nicht nur imposant anhäufen und gängige Meinungen bestärken, sondern just „Legenden“ in Frage stellen, die sich um Matisse ranken. Der Franzose, so behaupten die Ausstellungsmacher, sei längst nicht nur der schwelgerische Prophet eines „Goldenen Zeitalters“ und eines kunstvoll schönen Gleichgewichts gewesen. Nein, sein Werk zeuge vielfach auch von Instabilität und Gebrochenheit.

Weite Teile der Dauersammlung mussten weichen. Das Oeuvre von Matisse erstreckt sich somit über drei Etagen. Dennoch konzentriert man sich vorwiegend auf Interieurs (also Innenräume, Zimmer) und Frauenbildnisse aus allen Schaffensphasen – von der noch traditionell akademisch bestimmten Themenfindung bis hin zu flächig komponierten, fast musikalisch freien Formen.

Besessen vom weiblichen Leib

Matisse muss besessen gewesen sein vom weiblichen Leib, doch auch inspiriert von durchgeistigten Valeurs erotischer Ausstrahlung. Das „Ewigweibliche“ durchtränkt jede Faser der Bilder. Es ergießt sich über die Dinge, durchströmt die Räume, teilt seine Geheimnisse vorzugsweise mit Tieren oder Blumen – doch nie mit männlichen Wesen, den Künstler freilich ausgenommen.

Vielfältig sind die immer neuen Reize der Bildstrategien: Mit raffinierten Spiegeleffekten setzt Matisse manche Frauen und Räume entgrenzend in Szene. Oder er spielt subtil auf den Blick des Kunstbetrachters an, indem er ein Mädchen versonnen ins Goldfischglas schauen lässt.

Überhaupt scheinen all diese Frauen, ob nun Berufsmodelle oder engere Gefährtinnen des Künstlers, ganz in sich selbst und ihre Träumereien versunken. In überaus aparten Farbmischungen und oft überraschenden, zuweilen kühnen Perspektiven lässt Matisse etwa die zahllosen Leserinnen erglühen. Im Bann ästhetischer Moden malt er reihenweise hingegossene Odalisken. Das Wort meinte ursprünglich weiße Sklavinnen im orientalischen Harem orientalischen Harem. Hier aber sind es träge, laszive Heroinen, die von zeitloser Lust und Luxus künden.

Anfangs mögen manche Bilder auch schockiert haben. Doch natürlich ergeben sich daraus denn doch höchst dekorative Schauwerte; zumal im Spätwerk, wo sich der Drang zu ungeahnten Formen besänftigt. Auch spürt man – anders als etwa bei Pablo Picasso und so vielen anderen – von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts in diesen Bildern kaum einen Hauch.

Es ist jener Art von erlesener Schönheit, die sich vor den Übeln der Zeit ins gepflegte Interieur zurückzieht – zwischen Klavier, edle Bücher und kostbare Möbel. Allerdings weht auch ein wenig Melancholie durch diese spätbürgerliche Welt. Doch diese Bilder können allen Streit und Gram der Tage überstrahlen.

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Größte Schau seit langem

• Die Düsseldorfer Matisse-Schau ist seit 1970 die größte in Europa und seit 1930 die größte in Deutschland. Sie umfasst 90 Gemälde, 80 Zeichnungen und 25 Skulpturen.

• Umfangreich auch das Rahmenprogramm. Beteiligt: Filmmuseum und Institut Français.

• Ausstellung in der Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, Grabbeplatz: 29. Oktober 2005 bis 9.Februar 2006. Geöffnet: tägl. außer Mo 10-20 Uhr. Eintritt 10 Euro, Katalog 25 Euro.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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