Die magischen Momente – Werkschau von Gerhard Richter in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Mal stellt dieser Künstler acht gigantische verglaste Bildtafeln hin, die als graue Monumente vor dem Betrachter aufragen, lockend und abweisend zugleich. Dann wieder versammelt er gleich „4096 Farben“ (Titel) kästchenweise auf einem einzigen Bild.

Überhaupt hat der wandelbare Gerhard Richter (72) fast das gesamte Gelände der heutigen Mal-Möglichkeiten ausgeschritten. Seine Retrospektiven gleichen daher ästhetischen Wechselbädern. So auch jetzt in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW.

Dem „Kunst-Kompass“ zufolge ist Richter der gefragteste (und wohl auch teuerste) aller lebenden Künstler. Düsseldorf bereitet nun einen Bilderschmaus mit 120 Arbeiten, beginnend mit den 1960er Jahren. Seit einer Werkschau in der Bonner Bundeskunsthalle (1993) hatte keine deutsehe Richter-Ausstellung ein solches Volumen.

Gezielt verwischte, flirrende Landschaften

Der gebürtige Dresdner, der vor seiner Flucht in den Westen (1961) verhasste Pflichtübungen im Sozialistischen Realismus absolvieren musste, malt seit Mitte der 60er Jahre vielfach an den Grenzlinien des Sichtbaren. Grandiose Beispiele finden sich im Düsseldorfer Raum mit Richters gezielt verwischten, flirrenden Landschaften. Vergebens will man sein Auge „scharf stellen“ – und betrachtet die Vexierbilder somit ungemein intensiv.

Eigentlich unscheinbare, fernab gelegene Gegenden („Landschaft bei Hubbelrath“) hat Richter mit Vorliebe aufgesucht, um ihnen unversehens eine besonders magische Aura zu verleihen. Selbst banale Motive wie ein „Besetztes Haus“ entfalten hier transzendente Kraft. So, als könne an solchen Orten jederzeit das Ungeahnte geschehen.

Als Katalog-Abbildungen erscheinen derlei Gemälde wie nahezu fotorealistische Wiedergaben. Doch vor den Originalen bemerkt man dann doch sanfte Spuren der Machart, des Pinselschwungs, der verhaltenen Emotion. Gleichfalls verwischte Menschen-Darstellungen („Frau mit Kind“, „Zwei Liebespaare“) wirken mit ihren feinen Grauwert-Abstufungen wie vage Blitzlichter der Erinnerung. Es sind schmerzhaft vergängliche Momente, oft durchsetzt mit grotesker Mimik und Gestik. Da grinsen sozusagen die Fratzen und Phantome des „Jetzt“.

Eintauchen in die Eruptionen greller Farben

Gegenständlichkeit und Abstraktion, Gläubigkeit und Skepsis vor dem Bilde sind bei Richter keine Gegensätze, er driftet zwischen den Polen hin und her, offenbar regellos und frei: „Ich weiß nicht, was ich beim Malen tue“, hat er einmal gesagt. Doch die Hängung seiner Ausstellungen plant er penibel im voraus.

Die Dramaturgie der Düsseldorfer Schau (weitere Stationen: München, Japan) ergeht sich in Kontrasten. Da gibt’s meditative Raumfluchten in allen glatten, körnigen oder schlierigen Ausprägungen von Grau, Schwarz, Weiß. Oder man verliert sich in vakuumartigen Zuständen einer gleißenden Schneelandschaft, eines vollkommen leeren Zimmers.

Dann aber taucht man auf der nächsten Etage in ungeheure Emptionen der grellsten Farben ein. Hier wird auch schon mal der schiere Verlauf eines einzigen Pinselstrichs zum tragenden Thema und zuweilen zum mitreißenden Ereignis.

Mit neuesten Werken wie dem Riesenformat „Strontium“ (9 mal 9 Meter) erkundet Richter quasi mikroskopische Weiten der Biologie, Chemie und Physik. Serielle Wiederholungsmuster kommen dabei ins Spiel. Sieht es so im Kern aller Schöpfung aus? Oder schaut uns da die reine, polierte Oberfläche an?

Kunstsammlung NRW (K 20), Düsseldorf, Grabbeplatz. 12. Februar bis 16. Mai. Di-Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 6,50 Euro, Katalog 29 Euro.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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