Sabbel, Babbel, Schnüß und Goschen – Nützlich und vergnüglich zugleich: Das neue „Wörterbuch deutscher Dialekte“

Von Bernd Berke

Deutschlands geographische Fläche ist vergleichsweise klein. Da sollten eigentlich alle Mitglieder der Sprachgemeinschaft einander leicht verstehen. Sollte man theoretisch meinen. Doch wir alle wissen, daß es ganz anders sein kann. Wenn ein Bayer oder Ostfriese so richtig in ihrem Dialekt loslegen, verstehen andere Landsleute fast nichts mehr. Ein wenig Abhilfe schafft vielleicht das neue „Wörterbuch deutscher Dialekte“.

Am interessantesten ist wohl der mittlere Teil des Buches. Hier findet man das, was die Fachleute eine Synopse nennen. Auf deutsch: eine direkte tabellarische Gegenüberstellung der Ausdrücke aus zehn deutschen Hauptdialekten (wobei das Westfälische dem Westniederdeutschen zugeschlagen wird). Insgesamt 292 hochdeutsche Stichwörter und ihre jeweiligen Dialekt-Ausformungen werden erfaßt.

Man glaubt es kaum, welche herrliche Vielfalt entsteht, wenn all diese Mundarten ins Spiel kommen. Für eine einzige Sache hat jeder dieser zehn Dialekte oft sechs oder sieben verschiedene Worte. Etliche (wie etwa „Gaudi“ aus dem Bayerischen) haben via Radio und Fernsehen längst Eingang in die allgemeine Umgangssprache gefunden.

Gar viele Ausdrücke für Brötchen und Beule

Daß das „Brötchen“ nicht überall so genannt wird, ist einigermaßen bekannt. Dieses Backwerk heißt um Berlin herum Schrippe, in Bayern verlangt man Semmeln, in einem bestimmten Teil Bayerns allerdings auch Kipfeln, im Schwäbischen sagt man „Weck“, in Hamburg und Schleswig-Holstein beißt man ins „Rundstück“. Hauptsache knusprig.

Wahrend ein Wort wie „arbeiten“ fast im ganzen deutschen Sprachraum verwendet wird (nur Schwaben und Franken bevorzugen „schaffen“, Revierbürger auch schon mal „malochen“), wird etwa die Beule fast hinter jeder Autobahnabfahrt anders genannt: Knuppe, Knust und Brusche heißt sie in nordwestlichen Gegenden, Horn und Hübel in Sachsen, Knörzchen und Kneul in Hessen, Bühl oder Dotz im Rheinland, Bause und Baber im Pfälzischen, Binkel bei den Bayern. Und das ist nur eine winzige Auswahl der in diesem Falle oft spöttisch-schadenfroh gemeinten Begriffe.

Südlich der Weißwurstlinie wird’s deftig

Noch deftiger wird es bei der Wendung „Halt den Mund“. Im Nordwesten soll man Maul, Schnute, Sabbel oder Babbel halten, in Sachsen Gusche oder Labbe, im Rheinland die Schnüß – und in Bayern klingt s erst richtig derb: „Holt dei Fotzen.“ Wahlweise darf man dort auch die Pappen oder Goschen schließen.

Kurz und gut: Bei diesem Lexikon halten sich Nutzen und Sprachvergnügen aufs schönste die Waage. Und es bietet noch weitaus mehr als eine allgemeine Einführung, Übersichtskarten und besagte synchrone Wortlisten. In einem weiteren Teil werden die Dialekt-Wortschätze nach 15 Sachgruppen aus allen Lebensbereichen (Haus und Wohnung, Kleidung, Natur usw.) unterteilt. Und schließlich kann man eine ganze Menge Sprichwörter und Redewendungen kreuz und quer durch die Dialekt-Regionen miteinander vergleichen.

Allein die meist kernigen Sprüche, die dem „Volksmund“ beispielsweise zu einem Tier wie der Ziege oder einem Ort wie der Kneipe entschlüpft sind, füllen hier jeweils mehrere Seiten. Süffiges Beispiel aus dem Rheinland: „En deer Pint vekiire nuur Schnapsüüle“. Einen solchen Satz muß man sich natürlich ganz breit und genüßlich gesprochen vorstellen. Wie trocken hört sich im Vergleich die Übersetzung an: „In diesem Lokal verkehren nur Schnaps-Eulen“.

Ulrich Knoop: „Wörterbuch deutscher Dialekte“. Bertelsmann Lexikon Verlag. 478 Seiten. 69,90 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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