Trunk, Zeitreise, Einsamkeit und mehr – ein Stapel mit neuen Büchern

Was die Dichter im Glase hatten

Welch eine Idee, gegenläufig zum oft eher abstinenten Zeitgeist: vorwiegend alkoholische Lieblings-Drinks ruhmreicher Schriftsteller, wie sie in ihren Werken vorkommen, als Rezepte herauszubringen und mit anekdotischen Anmerkungen zu versehen. Das Resultat, übersetzt aus dem amerikanischen Englisch: „Trinken wie ein Dichter. 99 Drinks mit Jane Austen, Ernest Hemingway & Co.“ (Klett-Cotta, 217 Seiten, 24 Euro). Die größten Fraktionen bevorzugen – in allerlei Formen und Kombinationen – entweder Gin oder Whisky, dahinter folgen die Anhänger von Rum und Wodka. Einige Beispiele: Edgar Allan Poe hielt es mit Brandy, Rum und Schlagsahne. Gustave Flaubert bevorzugte Apfelcider mit Calvados und Aprikosenbrand. James Joyce nahm – wenig überraschend – gern Kaffee mit irischem Whisky zu sich. E. T. A. Hoffmann mixte sich sozusagen „Elixiere des Teufels“, z. B. aus Lipari-Wein, Kirschwasser und Champagner. Novalis fand die „Blaue Blume“ mit Hilfe von Bittermandel-Schnaps, Kirschsaft und – Mohnsirup. Pablo Neruda goss vorzugsweise Cognac und Cointreau ins Glas, Sylvia Plath hingegen Wodka und Martini, der notorische Trinker Joseph Roth schlichtweg am liebsten Pernod, während Friedrich Dürrenmatt Bordeaux-Wein mit Rum zusammenbrachte. Und Goethe? Verkostete schon mal das eine oder andere Glas fränkischen Weines. Prosit!

Ein Frauenleben im Rausch

Wir schließen thematisch ans vorherige Buch an: Wohin verschärfter Alkoholkonsum führen kann, schilderte anno 1929 Colette Andris (Pseudonym für Pauline Totey) in ihrem Debütroman „Eine Frau, die trinkt“ (Aus dem Französischen von Jan Rhein, Wagenbach, 156 Seiten, 22 Euro), der als lohnende Wiederentdeckung erschienen ist. Die Autorin führte in den „wilden Zwanzigern“ – also vor rund 100 Jahren – ein bewegtes Leben mit allen Höhen und vor allem Tiefen. Sie war eine der allerersten Nackttänzerinnen, wurde hernach Schauspielerin und eben Autorin. Eine durchaus mögliche Professorinnen-Karriere hatte sie zuvor in den Wind geschlagen. Bereits mit 8 Jahren war sie das erste Mal betrunken, um die Eltern gezielt zu schockieren. Der Suff wurde später ihr täglicher Begleiter. Nur im Rausch glaubte sie, gewisse Männer ertragen zu können. Ein Inferno aus Lebensdurst und Abstürzen, trotz der historischen Distanz ungemein gegenwärtig.

Auf eine Zeitreise geschleudert

Der Schweizer Christian Kracht war vor allem zu Zeiten seines Romans „Faserland“ enorm „angesagt“ und galt als große literarische Hoffnung seiner Generation. Nun hat er mit „Air“ (Kiepenheuer & Witsch, 215 Seiten, 25 Euro) erneut die literarische Szene betreten und sogleich wieder Scharen von Rezensenten auf den Plan gerufen. Erlesen schon die bloßen Orte der weit ausgreifenden Handlung: Paul, ein Schweizer Innenarchitekt, lebt auf den abgelegenen schottischen Orkney-Inseln und erhält einen rätselhaften Auftrag aus Norwegen, er soll den perfekten White Cube erschaffen. Durch eine Sonneneruption wird er freilich auf eine Zeitreise geschleudert, die ihn u. a. in eine mittelalterlich anmutende Welt führt. Wer will, kann nun am großen Motiv-Entschlüsselungs-Wettstreit teilnehmen – zwischen germanischen Mythen, KI-Phantasien, Dichtung und Philosophie. Wahrhaft gehobene Fantasy, zuweilen poliert wie ein Design-Produkt erscheinend, doch staunenswert reichhaltig und nicht nur ästhetisch überzeugend.

Ein allgegenwärtiges Gefühl

In letzter Zeit haben manche Politiker das Thema Einsamkeit als eines entdeckt, das sie mit ihren begrenzten Mitteln bekämpfen wollen. Die Erfolgsaussichten sind freilich fraglich, denn Einsamkeit könnte ja vielleicht als Konstante zur universellen Conditio humana gehören. Allerdings sollte man sich nicht einfach damit abfinden, und man darf auch die jeweiligen Ursachen und Beweggründe nicht verkennen. Der in Kassel lebende Janosch Schobin, studierter Soziologe, Hispanist u n d Mathematiker (!), legt mit „Zeiten der Einsamkeit. Erkundungen eines universellen Gefühls“ (Hanser, 224 Seiten, 24 Euro) ein Standardwerk zum Thema vor, das so ziemlich alle Ausfaltungen des Phänomens in Historie und vor allem Moderne erkundet. Einsamkeit zeigt sich dabei keineswegs nur als individuelles, sondern als kollektives, gesellschaftliches Problem. Für solche Bücher werden am besten feste Plätze im Regal reserviert – zur ständigen „Wiedervorlage“.

Bis in die Bochumer Discos

Maja aus Montenegro wird in Deutschland aufwachsen. Die Geschichte ihres spurlos verschwundenen Vaters Miko und seiner Familie kennt sie noch nicht. Ihre Mutter wird sie ihr erzählen. Es ist eine rasante, ziemlich abenteuerliche Migrations-Geschichte, die in den 1980er Jahren aus einem montenegrinischen Dorf bis nach Bochum und in die dortigen Discos führt. Die 1978 in Gelsenkirchen geborene Ines Habich-Milović, auch als Theatermacherin und Theaterautorin tätig, kündet davon in ihrem Romandebüt „Dein Vater hat die Taschen voller Kirschen“ (Rowohlt Berlin, 302 Seiten, 24 Euro). Der Titel bezieht sich auf einen Kirschenklau in Nachbars Garten, der hier eine treibende Rolle spielt. In mancherlei Facetten geht es darum, wie kulturelle Identitäten überhaupt entstehen. Dieses Buch beweist, dass Unterhaltsamkeit und Anstöße zur Nachdenklichkeit durchaus miteinander einhergehen können.

Neue Rock- und Pop-Geschichten

Wir bleiben in Bochum: Der aus dieser Stadt stammende Ulli Engelbrecht ist ein Kenner und emsiger Sammler von Rock- und Popmusik. Zudem häuft er allerlei Geschichten rund um Songs und Sounds an, die gewiss einen wesentlichen Teil seines Lebens und des Lebensgefühls seiner Altersgenossen ausmachen. Man tritt ihm sicherlich nicht zu nahe, wenn man Leute wie den Mit-Bochumer Frank Goosen und den Briten Nick Hornby zu seinen Anregern zählt. Auch im neuen Buch mit dem zunächst seltsam klingenden Titel „Klaus Nomi war ja eigentlich Konditor“ (BoD / Books on Demand, Paperback, 180 Seiten, 13 Euro) erzählt Engelbrecht wieder amüsante Rock- und Popgeschichten, vornehmlich gespeist aus den 70er- und 80er Jahren. Er scheint auf ein schier unerschöpfliches Reservoir an solchen Stories zurückgreifen zu können. Bisher lagen aus diesem Themenkreis bereits vor: „Mir brennen die Schläfen“, „Klingende Wunder“ und „Runde Dinger“. Wohl dem, der ein dermaßen gut sortiertes Archiv hat und es so launig ausbreiten kann!

Lektüre vorzeitig abgebrochen

Dass der Franken Verlag als ambitioniertes Projekt in Dortmund an den Start geht, hat sich verheißungsvoll angehört. Gleich mit der ersten Publikation wird die Vorfreude etwas gedämpft. Die aufs Jahr 1992 und die Folgezeit bezogene, nacholympische Stadterkundung „Feinschnitt Barcelona“ von Adrià Pujol Cruells (Aus dem Katalanischen von Matthias Friedrich, Franken Verlag, Dortmund, 256 Seiten, 24 Euro) mag im Original ein großer Wurf sein, doch das teilt sich in der deutschen Übertragung nur bedingt mit. Der Franken Verlag will Übersetzerinnen und Übersetzer durch Namensnennung auf dem Cover eigens würdigen. Gut so. Auch gebührt prinzipiell allen Respekt, die sich übersetzend ans Katalanische begeben. Nun kann ich mangels Kenntnis dieser Sprache nicht beurteilen, inwieweit die vorliegende Übersetzung gelungen ist. Ich nehme allerdings wahr, dass das Resultat im Deutschen gewöhnungsbedürftig klingt. Gleich die ersten Sätze lauten so: „Aus den Laternen auf der Plaça del Sortidor rinnsalt kränkliches Licht… Die Stadtreinigung hat die Pflastersteine mit phreatischem Wasser begossen…“ – „Rinnsalt“, „phreatisch“. Das sind einfach hinderliche Lesebremsen. In ähnlichem Duktus geht es vielfach weiter. Ich gestehe freimütig, die Lektüre vorzeitig abgebrochen zu haben. Vielleicht passe ich ja einfach nicht zu diesem Buch.




Wie Borussia Dortmund bei der Integration helfen kann – Migranten aus aller Welt erzählen

Reshat Toshi stammt aus dem Kosovo, floh 1997 nach Deutschland und fand damals dank eines BVB-Fanclub-Vorsitzenden eine langersehnte Wohnung. Daraus entwickelte sich – wie könnte es anders sein – Begeisterung für die Borussia, die bis heute Bestand hat. Das ist eine von vielen Geschichten, die man in dem Buch „Schwarzgelbe Freunde überall auf der Welt“ nachlesen kann.

Zahlreiche Migranten und Flüchtlinge erzählen in dem 160 Seiten starken Band ihre Geschichte, in der der BVB oder einer seiner Fanclubs maßgeblich zur Integration beigetragen haben.

9783730703007_cover_0 (4)

Das Buch erscheine passend zu einer Zeit, in der Migration und Integration beherrschende Themen seien, sagte BVB-Präsident Dr. Reinhard Rauball, als ihn Moderator Levent Aktoprak bei der der Präsentation im Borusseum nach dem Stellenwert des Buches fragte. Man wolle ein deutliches Zeichen setzen, dass sich Fußball und speziell der BVB als eine große Familie verstehen und dies über alle Religionen, Hautfarben, Sprachen und Kulturen hinweg. Apropos: Moderator Aktoprak, in Ankara geboren, hat an der Publikation auch selbst mitgewirkt und erzählt, wie er als Journalist sich mehr und mehr für den BVB begeisterte, bis er später Vorsitzender eines kulturell und sozial engagierten Fanclubs wurde.

In einer anderen Geschichte berichtet der gebürtige Tunesier Faouzi Bibani, wie er bereits in Afrika sein Herz für den BVB entdeckte hat. Vor inzwischen 23 Jahren kam er in die Bundesrepublik und lernte schnell über einen Fanclub in Werl viele Menschen kennen. Dank dieser großen Zahl an Kontakten habe er sich in Deutschland schnell sehr wohl gefühlt. Die Unterstützung, auf die er bauen konnte, gibt der 43-Jährige heute gerne weiter und hilft Flüchtlingen beim Ausfüllen von Formularen oder erklärt ihnen, was sie über Deutschland wissen sollten.

Mit dem Taxiunternehmer Mustafa Güner kommt ein Mann zu Wort, der sich durch einen besonderen Ortswechsel der Schar der BVB-Fans anschloss. Er zog Ende der 70er Jahre zum Borsigplatz, wodurch sich dann „der Bezug zum BVB entwickelte“. Sein soziales Engagement in heutiger Zeit, das vor allem auch den Kindern gilt, steht in enger Verbindung mit Menschen, die er dank der Borussia kennen gelernt hat.

Viele Nationen, viele Kulturen prägen aber nicht nur das Bild rund um den Borsigplatz, gern auch als Wiege des BVB bezeichnet. Lars Ricken, der von 2003 bis 2007 für den BVB insgesamt 301 Bundesligaspiele absolvierte (mit 41 Toren), schreibt ganz locker und selbstverständlich: „Schon zu meiner aktiven Zeit waren wir eine Multi-Kulti-Truppe“. Es sei vollkommen egal gewesen, ob Europäer, Amerikaner, Asiat, Afrikaner oder Australier: Das Ziel habe stets gelautet, den Sieg für den BVB zu holen.

Down under übrigens ist bislang der einzige Kontinent, auf dem noch kein BVB-Fanclub existiert. Natürlich gibt es die meisten der 750 Clubs in Deutschland. Aber auch in anderen Staaten Europas oder auch in Afrika, Asien oder Amerika haben sich Fans zusammengetan.

Ein früherer Soldat der einstigen britischen Armee im Ruhrgebiet berichtet, dass er „seiner“ Borussia auch der heutigen skandinavischen Heimat die Treue hält. Kinder- und Jugendbuchautor Hermann Schulz, der viel auf Reisen ist, berichtet über die Begeisterung, die er gerade bei jungen Afrikanern angetroffen hat. Solche und andere Passagen werfen allerdings die Frage auf, ob es in dem Buch doch nur um reine PR für den BVB geht.

Für Reinhard Rauball ist indes die Veröffentlichung bestens geeignet, den Wert der Fankultur hervorzuheben. Wenn gerade jetzt wieder, vor Saisonbeginn, über die Millionensummen der bei den Fußballertransfers diskutiert werde, dürfe man nicht vergessen, worauf es im Fußball auch besonders ankomme: „Wir-Gefühl“ und Miteinander.

Uwe Schedlbauer & Andreas Goldberg: „Schwarzgelbe Freunde überall auf der Welt“. Verlag Die Werkstatt, 160 S., 16,90 Euro




Elend so nah: Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ mit Epilog im Bochumer Schauspiel

Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum

Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum

Es regnet Menschen: Klein, rosa, nackt prasseln die Püppchen auf die Bühne hernieder und bleiben den Wohlstandsmenschen in den Haaren hängen. Sie häufen sich auf dem Boden, so dass die Bühnenarbeiter sie zum Schluss wegfegen müssen. Hilft ja nichts, es sind zu viele.

Wortkaskaden strömen in den Zuschauerraum, es sind viele Wörter, Textflächen, sie kreisen um die Themen Flucht, Migration, das Eigene und das Fremde und sie sind von Elfriede Jelinek. Hermann Schmidt-Rahmer inszenierte für das Bochumer Schauspielhaus „Die Schutzbefohlenen/Appendix/Coda/Epilog auf dem Boden“, wobei „Die Schutzbefohlenen“ bereits 2014 uraufgeführt wurde. Das Stück nimmt Bezug auf die antike Tragödie „Die Schutzflehenden“ von Aischylos. Parallel zur Entwicklung der „Flüchtlingskrise“ in Europa hat Jelinek den Text seitdem fortgeschrieben und erweitert. Der letzte Teil „Epilog auf dem Boden“ war nun in Bochum erstmalig zu sehen.

Die Perücken und Kostüme der Schauspieler erinnern an Marie Antoinette und Luis XVI, aber als seien sie von Karl Lagerfeld verfremdet und zum letzten Schrei von Paris erklärt. Die dekadente Gesellschaft trägt dunkle Datenbrillen, durch die sie in sicherem Abstand die Tragödie auf dem Mittelmeer medial verfolgt.

Nein, die Europäer sind nicht am eigenen Leibe betroffen, sie schauen nur zu. Natürlich ist das schrecklich, da muss man Mitleid haben. Wirklich beängstigend wird es aber für sie erst, als plötzlich die realen Menschen in ihr Land strömen und man diesen und ihrem Unglück von Angesicht zu Angesicht begegnen kann. Da wird’s dann doch ein bisschen viel. So genau wollte man das Elend lieber doch nicht sehen.

Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum

Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum

In Jelineks Text prallen die Absurditäten der Politik und Gesellschaft mit einer ganz eigenen Ironie aufeinander. Sie hat dem Gerede gelauscht und reiht die wahnsinnigen Worthülsen dieser Tage so aneinander, dass man nicht zu fassen glaubt, was man da alles hört.

Doch wie funktioniert das auf der Bühne? Schmidt-Rahmer hat mit seinem Bühnenbildner Thilo Reuther und den Kostümen von Michael Sieberock-Serafimowitsch eine ästhetische Plattform gefunden, in der sich das Thema sinnfällig entfalten kann: Die große Landkarte von Nordafrika ist wie ein Trichter aufgehängt, durch den die eingangs beschriebenen Püppchen in die Szene purzeln. Die großartigen Schauspieler bringen den Text zum Schweben und helfen bei der Materialisierung – inklusive Püppchenköpfen (für das Video im Netz).

Allerdings ist Jelineks Perspektive immer nur die unsere: Auch wenn Schicksale von Flüchtlingen referiert werden, geschieht das durch unsere Augen und nicht aus deren eigener Sicht. Hier gerät der Text an seine Grenzen, das ist dramatisch nicht leicht zu überwinden. In Nicolas Stemanns Inszenierung für das Thalia Theater waren Flüchtlinge selbst als Chor einbezogen, Schmidt-Rahmer überlässt es in Bochum den Schauspielern, auch in die Rollen der Flüchtlinge zu schlüpfen. Das klappt nicht immer. Aber warum sollte es auch? Jelinek schreibt über uns, weil sie von uns am meisten weiß. Und wir im Publikum schauen dabei zu – die anderen stauen sich an den Grenzen…

Karten und Termine: www.schauspielhausbochum.de




Nüchterner Blick auf die Ursachen und Folgen der „Flüchtlingskrise“

Kaum ein Problemfeld ist so stark von Emotionen geprägt oder genauer mit ihnen belastet wie die sogenannte Flüchtlingskrise.

Oft naive Hilfsbereitschaft auf der einen Seite, starke Ablehnung oder nur leichte Überfremdungsängste auf der anderen Seite bestimmen die Diskussion in Europa, seitdem Millionen Menschen aus Krisen- und Armutsgebieten in die reiche Europäische Union migrieren. In dieser Situation tut eine Versachlichung, wie sie der Politikwissenschaftler Stefan Luft jetzt vorgelegt hat, sehr gut.

Fluecht

In der Taschenbuchreihe Beck Wissen fasst der bereits einschlägig mit ähnlichen Veröffentlichungen hervorgetretene Bremer Privatdozent „Ursachen, Konflikte und Folgen“ der massenhaften Wanderung von Menschen in aller Welt zusammen, natürlich mit dem Schwerpunkt der Flüchtlingsströme nach Mitteleuropa seit dem Spätsommer 2015.

Stefan Luft liefert klare Definitionen der einzelnen Migrationsgruppen und bedient sich auch zahlreicher Statistiken. Er relativiert damit so manche in der Größenordnung überschätzte Zuwanderer-Zahl. Weltweit, zum Beispiel, beträgt der Anteil der grenzüberschreitenden Migration nur 0,6 Prozent der Bevölkerung. Das soll aber auch bei Luft nicht heißen, dass die derzeitige Situation in Deutschland zum Beispiel problemlos wäre.

Der Privatdozent geht auch auf die emotionale Belastung der Bevölkerung in den Aufnahmeländern ein. Er kritisiert, dass die Politik in der EU im vergangenen Jahr trotz deutlicher Hinweise der UNO nicht rechtzeitig reagiert hat, und er sagt auch, dass ein Gelingen von Integration ganz deutlich von der Größe der zugewanderten Gruppe abhängt. Das kann man auch als Argument für eine sogenannte „Obergrenze“ lesen.

Auch auf die Rolle der Religion geht der Wissenschaftler ein, und in seinem Ausblick referiert er die Forderungen des UNHCR: Genau wie zum Beispiel in der Verteidigungspolitik müsse es dringend einen europäischen Konsens über die Aufnahme und Integration derjenigen Migranten geben, die nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können oder die nicht in andere Länder umgesiedelt werden, zum Beispiel nach Kanada oder in ähnliche Zielgebiete. „Die Unterstützung durch ökonomisch starke Staaten ist in jedem Fall unumgänglich“ schreibt er, und das heißt: Es wird sehr viel Geld benötigt.

Stefan Luft: „Die Flüchtlingskrise. Ursachen, Konflikte, Folgen“. Reihe Beck Wissen, München 2016. 128 Seiten, 8,95 €