Was rund um den Turm von Babylon geschah – Münsteraner Ausstellung über die biblisch berüchtigte Stadt

Von Bernd Berke

Münster. Wer gelegentlich Reggae-Songs hört, kennt die Formel: Viele politisch bewußte Schwarze verwenden heute das Wort „Babylon“ als Schlüsselbegriff, der die Verderbnis der ganzen westlich-weißen Kultur meint. Das Stadt-Bild aus der Bibel wirkt mächtig bis in unsere Tage weiter. Jetzt rankt sich die archäologische Ausstellung „Wiedererstehendes Babylon“ in Münster um Legende und Wirklichkeit des berühmten Turmbaus zu Babel.

Die Wissenschaft weiß heute ziemlich genau Bescheid über den Turm, mit dem laut Bibel (Buch „Genesis“) überhebliche Menschen so hoch hinaus wollten, daß sich zur Strafe ihre Sprache verwirrte. Der historische Bau aus der Zeit Nebukadnezars (604-562 v. Chr.) hatte eine Grundfläche von etwa 90 mal 90 Metern. Man kann die Kantenlänge einer Seite sogar zentimetergenau mit 92,13 m angeben. Die Höhe dürfte rund 90 Meter betragen haben. Ein Modell in der Münsteraner Ausstellung gibt den neuesten Stand der Forschung wieder. Aber auch einige künstlerische Phantasien über den Turmbau sind zu sehen.

Der Koloß ist von Fronarbeitern errichtet worden, darunter auch Juden. Später wurde er mehrfach geschleift und überbaut. Im obersten Geschoß des frühen Wolkenkratzers befanden sich Kulträume, u. a. ausgestattet mit einem goldenen Bett, in dem der König an hohen Feiertagen der obersten Priesterin beiwohnte — eine religiöse Zeremonie der Fruchtbarkeit…

Doch nicht nur über den Turm gibt die Ausstellung Auskunft, sondern auch über einige Aspekte babylonischen  Alltags. Leitlinie der in Berlin entwickelten, aber mit rund 80 Exponaten aus westfälischen Sammlungen angereicherten Schau, sind die 1898 begonnenen Ausgrabungen der deutsehen Orient-Gesellschaft. Damaliger Zeithorizont: Die Deutsehen wollten, wie leider auch auf anderen Gebieten, „Weltgeltung“ erlangen, indem sie mit dem Louvre und dem British Museum gleichzogen.

Zur Münsteraner Schau mit ihren 235 Original-Exponaten gehören z. B. Schminktöpfe, Münzen, mühsam zusammengesetzte Scherben (Löwen-und Drachen-Darstellungen für einen Prozessionsweg) oder Keilschrift-Tafeln. Kurios: ein Täfelchen mit ganz verschlungenen Strichen. Die scheinbar nur ornamentalen Schlangenlinien sind in Wahrheit Lehrbeispiele für Gedärme-Lagen, nach denen man per Eingeweideschau die Zukunft prophezeite.

Zurück in die Gegenwart: Babylon liegt auf dem Gebiet des heutigen Irak. Bis 1978 ließen die Irakis auch internationale Grabungsteams zu, seither machen sie allein weiter. Die Sache gilt als nationale Aufgabe im Sinne Saddam Husseins, der sich gern als Erbe  einer Weltkultur sähe. Im Golfkrieg von 1991 sei, so Münsters Museumsleiter Dr. Harald Polenz, die Gegend von Babylon nicht betroffen gewesen.

„Wiedererstehendes Babylon“. Westfälisches Museum für Archäologie, Münster, Rothenburg 30 (Nähe Domplatz). 16. Mai bis 22. August. Tägl. außer Mo. 10-18 Uhr. Begleitheft 15 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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