Leergepumptes Herzensbett – Jeanette Wintersons schwülstiger Liebesroman „Auf den Körper geschrieben“

Von Bernd Berke

Lassen wir Jeanette Winterson und ihre Übersetzerin für sich selbst sprechen.

Seite 89: „Sie wölbt ihren Körper wie eine Katze, die sich streckt. Sie drückt mir ihre Muschel ins Gesicht wie ein Füllen am Gatter.“ Hei!

Seite 100: „Sie küßte mich, und in ihrem Kuß lag die Komplexität der Leidenschaft… Ich war schüchtern wie ein ungezähmtes Fohlen.“ Mh!

Seite 124: „Ein Schatz war uns in die Hände gefallen, und der Schatz waren wir selbst füreinander.“ Aha!

Seite 138: „Ich will kein Kissen, ich will dein lebendiges, atmendes Fleisch.“ Ja, wer würde da schon ein Kissen vorziehen?

Seite 160: „Die körperliche Erinnerung tappt durch die Tür herein, die der Geist zu versiegeln trachtete.“ Wie bitte?

Seite 227: „In dem leergepumpten, ausgetrockneten Bett meines Herzens…“ Man sieht sie direkt vor sich, diese Schlafstatt. Vermutlich eine Luftmatratze.

Genug der Zitate. Man könnte sie, in ähnlicher Stilblüten-Güte, seitenweise fortsetzen.

Das Buch „Auf den Körper geschrieben“ (armer wehrloser Körper) kreist, wie man schon ahnt, um Liebe. Und ist es auch sonst elend geheimnislos, so läßt es doch über einen Umstand rätseln: Ist die Erzählerfigur, die da reihenweise Frauen erobert und dann stammelnd einer ganz großen Leidenschaft zu einer krebskranken Arztgattin anheimfällt, Männlein oder Weiblein? Da an keiner Stelle „penetriert“ wird und die Autorin bekennende Lesbierin ist, darf man getrost von Möglichkeit Nummer zwei ausgehen. Doch im Grunde ist auch das nicht interessant. Denn ganz gleich, um welche Ausprägung von Liebe es hier geht – sie wird unter Schwulst begraben. Nichts, aber auch gar nichts gegen einen großen Roman über lesbische Liebe. Aber vieles gegen derlei haltloses Geschreibsel.

Als „kluges, rätselhaftes, erotisches Buch“ preist der Verlag das Werk der britischen Bestseller-Autorin. an, die nun offenbar alle literarischen Skrupel fahren läßt. Man bekommt direkt Angst vor Frevel, wenn sie große Vorbilder wie Shakespeare oder das biblische Hohelied der Liebe aufgreift.

Auch die Übersetzung scheint ihren Teil zum Unglück beigetragen zu haben. Kostprobe: „War es um die verlorene Verbindung zu den Großen und Würdigen der Gesellschaft.oder war es um ihre Tochter?“ Ja, um was wird es denn wohl gewesen sein?

Hat das Lektorat des Fischer-Verlages geschlafen?

Jeanette Winterson: „Auf den Körper geschrieben“. Roman. Aus dem Englischen von Stephanie Schaffer-de Vries. S. Fischer Verlag. 236 S., 36 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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