Orte der Ödnis: Dmitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ überzeugt an der Oper Frankfurt nur musikalisch

Als Katerina Ismailowa aus unruhigen Träumen erwacht, liegt sie auf einer Rollbahre, wie man sie in der Anatomie für tote Körper verwendet. Um sie herum ist nichts, außer einer speckig glänzenden, riesenhaften Mauer, deren grün-blau-grau-braun schillernder Rund alles hermetisch abschließt. Ein Ort der Ödnis, ohne Hauch von Schönheit, Freundlichkeit, Hoffnung.

Anja Kampe als Katerina Ismailowa in Frankfurt. Foto: Barbara Aumüller

Anja Kampe als Katerina Ismailowa in Frankfurt. Foto: Barbara Aumüller

Kaspar Glarner hat für Dmitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ in Frankfurt eine Dystopie geschaffen, die keinen Ausweg zulässt. Es ist ein Ort der seelischen Gefangenschaft, der Unterdrückung aller Lebenstriebe: Katerinas künstlich weiße Haare sind zwar im Chic der zwanziger Jahre geschnitten, zeugen aber von ihrer erloschenen Seele. Eine VR-Brille muss helfen: Doch der Ausweg ist nur virtuell; Bibi Abel lässt in ihren Videos kitschige Blumen aufploppen. Eine Perspektive hat diese Frau nicht.

Giftige Pilze, serviert ohne innere Regung

Anja Kampes neutral gefärbte, anfangs technisch zweifelhaft in seifig-enge Höhe gezogene Stimme passt zu dieser abgestumpften Frau: Ungerührt geht sie in die Knie, als ihr sadistischer Schwiegervater Boris Ismailow einen grotesken „Liebesbeweis“ fordert. Ohne eine Spur von Mitgefühl befreit sie die Hausangestellte Axinja (einigermaßen zahm: Julia Dawson) aus den Händen ihrer Peiniger. Dem brutalen Boris – Dmitry Belosselskiy singt ihn großartig mit satt strömender Stimme – reicht sie ohne Regung die vergifteten Pilze. Ihren Mann Sinowi – Evgeny Akimov als eitler, profilloser Protz mit genau ausgearbeiteter Blässe – hilft sie umzubringen, als sei Mord ein Alltagsgeschäft. Ihre abstoßende Umgebung hat sie vereist. „Kalt wie ein Fisch“, sagt Boris, als er ihr, um ihre sexuellen Trieb anzufachen, violette Unterwäsche entgegenwirft.

Dmitry Golovnin (Sergei) und Anja Kampe (Katerina Ismailowa). Foto: Barbara Aumüller

Dmitry Golovnin (Sergei) und Anja Kampe (Katerina Ismailowa). Foto: Barbara Aumüller

Dass unter all den Demütigungen die innere Energie, die Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit, die seelische Empfindung nicht abgestorben ist, offenbart sich in der Begegnung mit dem neu eingestellten Arbeiter Sergei: Dmitry Golovnin porträtiert ihn mit funkelnd präsentem, schneidend und schmeichelnd agierenden Tenor als Schlange in einem athletischen Körper, viril, aggressiv und potent. Die Schwachstellen in Katerinas öder Existenz erfasst er sofort und nutzt sie zielstrebig für sich. Und Anja Kampe zeigt genau wie beabsichtigt die Gier der ausgehungerten Frau auf die körperliche Berührung, den Kuss, die Vereinigung.

In solchen Momenten kommt die Regie Anselm Webers zu eindrücklicher Intensität, die man in anderen Szenen vermisst. Seine Stärke zeigt der frühere Essener und Bochumer Schauspielchef, der seit 2017 das Sprechtheater in Frankfurt leitet, wenn es um die Begegnung von Personen geht, wenn viel Unausgesprochenes im Raum steht, wenn er detailliert aussagekräftige Gesten und Gänge einsetzt.

Die Konzeption von Ensembles dagegen bleibt blass und unscharf: Die Quälerei und versuchte Vergewaltigung der Axinja in einem Ölfass ist unentschlossen, weil die gespielte Brutalität nicht bedrohend wirkt. Die erste Begegnung Katerinas mit ihrem späteren „Serjoscha“ lässt keine Spannung zwischen den beiden entstehen. Die böse Ironie der Polizei-Szene im dritten Akt ist nicht überzeugend ersetzt durch die Langeweile einer Schlägerbande in einem abgewetzten Wohnzimmer. Die detailliert durchgestaltete Travestie des Popen (Alfred Reiter) lenkt lediglich von der zupackenden Dramatik der Ereignisse ab, als bei der Hochzeit der Keller mit der Leiche des ermordeten Sinowi geöffnet wird.

Das Glück des Abends kommt aus dem Graben

Tödliche Pilze: Anja Kampe (Katerina Ismailowa) und Dmitry Belosselskiy (Boris Ismailow). Foto: Barbara Aumüller

Tödliche Pilze: Anja Kampe (Katerina Ismailowa) und Dmitry Belosselskiy (Boris Ismailow). Foto: Barbara Aumüller

Und der vierte Akt mit einer vordergründig schmierigen Sonjetka – der ansprechend singenden Zanda Švēde – bleibt in seinem spannungslosen Bildaufbau und seiner fadenscheinigen Gegenständlichkeit ohne die schicksalhafte Hoffnungslosigkeit, die sich in der Weite der Landschaft und der Öde des ewigen Marschierens symbolisch manifestiert.

Auch Anja Kampe drückt die ultimative Demütigung Katerinas und das Entsetzen angesichts ihrer aufkeimenden Selbsterkenntnis eines verpfuschten Lebens mit ihrem lapidaren Timbre nicht aus. Empathie fühlt man mit dieser neutral sich selbst besingenden Katerina nicht. So rettet auch das szenische Ausrufezeichen nichts, den – während des ganzen Abends glänzend intonierenden und präsent agierenden – Chor aus dem Zuschauerraum singen zu lassen. Der „finster-satirische“ Charakter, den Schostakowitsch selbst seiner Oper zugesprochen hat, ist mit dieser Kolportage nicht erfasst.

Das Glück des Abends liegt im Graben: Sebastian Weigle und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester intensivieren Schostakowitschs illustrative und unmittelbar kommentierende Musik so grandios, dass sich das Drama in den Noten ereignet. In der Musik ist die innere Sehnsucht zu vernehmen, die auf der Szene kaum durch die verschlossenen Körperhüllen scheint. In der von Weigle zärtlich ausgeformten Wehmut ist die Hoffnung Katerinas zu spüren, in der Begegnung mit Serjoscha die lang vermisste innere Geborgenheit und Befriedigung zu finden. Aber auch die bissigen, grellen, brutalen Momente mit ihren gellenden Bläsern, den schäumenden Streichern und den böse meckernden oder atemlos hechelnden Holzbläsern kommen nicht zu kurz. Dabei lässt Weigle aber nie grob oder unkontrolliert spielen; er achtet auf Form und Rundung des Tons. Das gibt der Musik Schostakowitschs eine gewisse distanzierte Noblesse, die sich von krudem Naturalismus fernhält.

Musikalisch ist diese Premiere ein Triumph, szenisch rettet man sich so eben über die Runden.

Vorstellungen am 29. November, 8. und 12. Dezember.
Info: www.oper-frankfurt.de

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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