Große Gefühle im Zirkus des Lebens – Theater Oberhausen macht Peer Gynt zum Musical-Star

Manege frei: Peer Gynt (André Benndorff). (Foto: Isabel Machado Rios/Theater Oberhausen)

Wenn das Publikum den Saal betritt, ist Peer Gynt schon da. Ein kleiner Junge sitzt auf der Bühne und weiß mit sich anscheinend wenig anzufangen. Kurze Zeit später wird er seiner Mutter Lügengeschichten erzählen, die die sichtlich überlastete Frau (immerzu rauchend: Emilia Reichenbach) nicht hören will. Und in den Zirkus geht es auch nicht, weil das Geld fehlt. Sehr bescheiden, das alles.

Man hätte gern ein anderes Leben, was auf der Bühne – der eiserne Vorhang hebt sich – glücklicherweise kein großes Problem darstellt: Das Theater Oberhausen macht „Peer Gynt“ zu einer „Revue nach Henrik Ibsen“ und präsentiert sie als fiebriges Phantasiespektakel auf bunter Bühne mit schrillem Personal.

Im Zirkus fühlt Peer Gynt sich wohl. (Foto: Isabel Machado Rios/Theater Oberhausen)

Eigentlich ist diese Revue aber eher ein Musical, dessen musikalische Anteile jedoch nicht von Grieg, sondern offenbar vom Regisseur stammen, einem ausgewiesenen Experten für dieses Genre. „In einer Fassung von Martin C. Berger“ vermerkt das Programmblatt eher bescheiden.

Der Sound der zur Aufführung gelangenenden Lieder ist sehr vertraut, lässt an Erfolgsproduktionen der letzten Jahrzehnte nicht nur eines Andrew Lloyd Webbers denken. Und auch die Texte, die dankenswerterweise auf Bildschirmen mitgelesen werden können (die englischen in deutscher Übersetzung), zeigen bewährte Strickmuster, schwingen sich in größter Emotionalität von tiefer Verzweiflung zu standfester Hoffnung empor, und zu sagen, dass sie Klischees nicht meiden, wäre untertrieben.

Dabei wird nicht ganz klar, ob Berger nichts Originelleres eingefallen ist oder ob er einfach nur lustvoll mit den Formen spielt. Auf dem Programmzettel nämlich findet sich ein kleines Glossar aus seiner Feder („Showdeutsch für Anfänger“), das beispielsweise erklärt was ein „I Want Song“ ist: Es ist der Song, in dem die Hauptfigur ihren Wunsch formuliert und damit die Hauptmotivation für die gesamte Handlung bestimmt“. Sehen wir also eine „Peer Gynt“-Variation, die den Regeln des modernen Musicals folgt? Funktioniert das?

Nochmal Zirkus. Im Hintergrund einige Trolle. (Foto: Isabel Machado Rios/Theater Oberhausen)

Idealer Ort

In der ersten Hälfte des Stücks durchaus. Berger hat den norwegisch-ländlichen Gyntschen Kosmos in einen Zirkus verlegt, ein idealer Ort, wo Wirklichkeit und Phantasie ineinanderfließen und wo Peer Gynt sich lange Zeit der Illusion hingeben kann, der Größte zu sein. Sattsam bekannte Stationen der literarischen Vorlage – Solveig, die Trolle, diverse erotische Episoden – erfahren hier eine sehr ungleichmäßige Gewichtung, vieles ist gekürzt und gestrichen, doch eignet sich die Geschichte, wie sie nun in Oberhausen erzählt wird, recht gut für die Konturierung des notorischen Aufschneiders und Herumtreibers.

Gesangsqualitäten sind leider mäßig

Offenbar reizt es die Sprechtheater im Land, sich ab und zu, auch gesanglich, der Musik zuzuwenden. So kam Ende letzten Jahres im Essener Grillo-Theater „After Midnight“ mit Songs von Cash, Clapton und Cohen heraus. In Oberhausen nun gibt André Benndorff den Peer Gynt, lange Zeit im Zustand der Dauererregtheit. Mehr als zwei Stunden fast ununterbrochener Bühnenpräsenz scheinen ihm dabei nichts auszumachen. Seine gesanglichen Qualitäten – und er hat viel zu singen – sind jedoch leider mäßig, auch wirkt er für die Rolle etwas alt; aber als hoch präsenter, dabei geradezu unerwartet diffenzierter Akteur des Sprechtheaters weiß er sehr wohl für sich einzunehmen. Das Wort „Rampensau“ schreit hier nach Verwendung, ist für diesen Künstler aber zu wenig.

Dieser Herr (Clemens Dönicke) kommt teuflisch daher. (Foto: Isabel Machado Rios/Theater Oberhausen)

Feines Schauspiel

Nach der Pause steht Läuterung an, denn das Ende naht. Peer Gynt muss die Vergeblichkeit seines bisherigen Lebens erkennen, doch sich wie ein Metall vom Knopfgießer umformen zu lassen, um gleichsam einen zweiten Existenzversuch zu starten, lehnt er voller Furcht ab. Wir erleben, fast musikfrei nun, feines Schauspiel mit Ronja Oppelt in der Rolle des Knopfgießers, der dem Verzweifelten eine letzte und auch noch eine allerletzte Chance einräumt, bis schließlich wieder Mutter da ist und der kleine Junge und man zum Schluss kommen kann.

Sparsame Möblierung

Ein fast bühnengroßer Leuchter aus konzentrischen, mit nackten Glühbirnen behängten Metallringen hängt vom Schnürboden herab und prägt das Bühnenbild von Sarah-Katharina Karl und Alexander Grüner, das im Übrigen mit recht wenigen Requisiten auskommt. Mal umschreibt ein flitternder Fransenvorhang den bespielten Raum, mal ändert sich die Position des Leuchters; ansonsten bleibt vor allem ein mobiler Laufsteg in Erinnerung, der sich gut für Hochzeits- und Trauergesellschaften eignet. Heiter hingegen sind die Kostüme (Regine Standfuss), die, im Zirkus gewiss zulässig, gar nicht bunt und schrill und schräg genug sein konnten. Merkwürdig bedruckte Trikots gibt es da, gepolsterte Anzüge mit angenähten überdimensionalen männlichen Genitalien, doch auch ein vergleichsweise adrettes Funkenmariechen ist dabei.

Der Titelheld im Folienmeer. (Foto: Isabel Machado Rios/Theater Oberhausen)

Gute Musiker

A propos Mitwirkende: Auch ein fünfköpfiges „Musical Ensemble“ spielt laut Programmzettel neben den neun Schauspielerinnen und Schauspielern vom Theater Oberhausen mit, ebenfalls grell kostümiert. Sehr professionell wirkten die vier Damen und der Herr allerdings nicht, was natürlich auch am sehr präsenten, geradezu raumgreifenden Spiel des neunköpfigen Oberhausener Ensembles liegen mag. Uneingeschränkt zu preisen schließlich sind die neun Musiker in ihrem Loch, die unter Leitung von Martin Engelbach untadelig aufspielten.

Das „Metronom“ beerben?

Gerade so wie es in modernen Musicals üblich ist, holten sich die Künstler ihren Schlussapplaus choreographiert ab, mal alle, mal grüppchenweise, und die Kapelle spielte dazu. Fast wirkte das schon so, als wolle das Theater Oberhausen das kommerziell betriebene Musical-Theater „Metronom“ am Ort beerben, das wegen mangelnder Auslastung in diesem Jahr schließt. Das Publikum jedenfalls zeigte sich begeistert, applaudierte im Rhythmus und stehend.

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