Heller Aufruhr und mühsame Bändigung – Aquarelle und Zeichnungen von Wassily Kandinsky

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Es beginnt harmlos, mit lieblichen Szenen aus Bibel und Paradies. Bilder mit recht fest umrissenen Linien, starkfarbig, beinahe plakativ. Diese Kunst ist noch befangen in russischer Tradition.

Doch irgendwann geraten die Linien, Formen und Farben in hellen, produktiven Aufruhr. Sie drängen zueinander, ballen sich dynamisch, tragen regelrechte Kämpfe auf der Bildfläche aus. Derlei Explosionen im Bildgefüge, wie sie Wassily Kandinsky (1866-1944) herbeigeführt hat, kann man nun in der Kunstsammlung NRW erleben, wo man sich ganz auf Aquarelle und Zeichnungen konzentriert, rund 180 an der Zahl. Diese freilich sind bei Kandinsky nicht bloßer Gemälde-Ersatz, sondern eigenständiger Bestandteil des Gesamtwerks.

Zwei weitere Vorgaben prägen die Auswahl: Zum einen hat man bewußt auf selten gezeigte Stücke aus Privatsammlungen zurückgegriffen, zum anderen das gegenständliche Frühwerk bis auf wenige Einzelbeispiele beiseite gelassen. Hingegen wird deutlich, daß Kandinsky in seinen spätesten Arbeiten sich wieder mehr ans Erkennbare hielt. Gestützt auf botanische Studien, kommt er hier vor allem auf pflanzliche Formen zurück. Der Weg in die Abstraktion ist umkehrbar.

Höhepunkte der Ausstellung sind die etwa zwischen 1915 und 1935 entstandenen Blätter. Da findet man in der Tat viele Arbeiten, auf denen gleichsam jede Linie auszurufen scheint: „Hier bin ich!“ — wie der auch wort- und schreibversessene Kandinsky es einmal selbst ausgedrückt hat. Die Bildflächen werden hier zu Bezugs- und Ereignis-Feldern, auf denen sich die Elemente eher nach musikalischen Gesetzen bewegen. Gebirgsketten oder Reiterfiguren – häufige Motive bei Kandinsky – wandeln sich zu abstrakten Zeichen, die weitaus mehr bedeuten, als es die Abbildung von Objekten könnte. Man kann in diesen Bildern wunderbar frei „lesen“ – auf und ab, seitwärts, diagonal – und immer wieder wird man, angeleitet von Form- und Farbverläufen, neue Beziehungen finden. Kandinsky war hier, wie er es formuliert hat, unterwegs zum rein „Geistigen in der Kunst“.

Ganz anders die Werke aus den „Bauhaus“-Jahren. Fast scheint es, als habe Kandinsky die zuvor „wildwüchsige“ Bildweit bannen und bändigen wollen. Nun huldigt er einem mehr oder weniger strengen Konstruktivismus, zieht Liniengerüste durch seine Bilder, tariert Farben, Formen und Gewichtungen nahezu mathematisch aus. Interessant wäre in dieser Phase ein Vergleich mit Arbeiten des Bauhaus-Kollegen Paul Klee. Es scheint da tiefgreifende Einflüsse gegeben zu haben, wirken doch manche der Kandinsky-Arbeiten dieser Jahre so, als habe Klee seine Hand im Spiele gehabt.

Allerdings verlegt sich Kandinsky, ebensowenig wie Klee, selten auf pure Geometrie. Schönes Beispiel dafür, wie er Emotionalität mit scheinbar sachlichen Grundformen kollidieren läßt, ist das Bild „Inneres Kochen“ (1925), auf dem blutiges Rot alles Ebenmaß hinwegzufegen droht.

Kandinsky hat nach einem universell verstehbaren „Urvokabular“ der Bildsprache gesucht. Beleg dafür ist u. a. das in 18 Kästchen unterteilte Werk „Kleine Bildchen“ (1927), dessen Felder sowohl an altägyptische Kunst als auch an moderne Piktogramme gemahnen: Das Uralte ist das ganz Neue, und dieses ist immer schon dagewesen.

Im Spätwerk frappiert vor allem die eigentümliche Farbpalette aus schwarzen und kreidigen Tönen, die man vage mit dem Wort „mondsüchtig“ umschreiben könnte.

Kandinsky – „Kleine Freuden“ (Aquarelle und Zeichnungen). Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, Grabbeplatz. Bis 10. Mai. Katalog 49 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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