Der Zauberer zeigt, was hinter den Dingen leuchtet – Zeichnungen und Aquarelle von Paul Klee in Hamm

Von Bernd Berke

Hamm. Einige wenige Künstler sind über Zweifel ziemlich erhaben. Pablo Picasso zählt dazu – und gewiß auch Paul Klee. Wollte sich einer erdreisten, Klee herabzustufen, so würde sich dieser Jemand selbst disqualifizieren. Umso erstaunlicher, daß von solch einem Künstler wesentliche Werkteile noch nicht zusammenhängend gezeigt worden sind. Unglaublich gar, daß man noch viele verschollene Bilder aufspüren kann.

Die jetzt in Hamm eröffnete Ausstellung „Paul Klee – Reisen in den Süden“ birgt stille Sensationen. Denn die Klee-Expertin Frau Dr. Uta Gerlach, die 107 Aquarelle und Zeichnungen zusammengetragen hat, konnte 13 Arbeiten auftreiben, von denen man geglaubt hatte, sie seien auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Weitere 26 Werke werden entweder erstmals oder (nach Jahrzehnten im Depot) erneut öffentlich gezeigt.

Paul Klee (1879-1940),. hat sein Oeuvre selbst akribisch dokumentiert. Ab 1911 hat er rund 10 000 Blätter und Leinwände numeriert und ins Werkverzeichnis aufgenommen. Er war offensichtlich kein Jäger-Charakter unter den Menschen, sondern ein Sammler, der wohl auch an die Nachwelt dachte. Jedenfalls erleichtern seine Listen heute die korrekte Zuschreibung.

Südliche Reisen in das andere Licht

Reisen in den Süden also, Reisen ins Licht. Hier waren Farbklänge zu entdecken, die der Norden einfach nicht hergab – zu schweigen vom meteorologischen und menschlichen Klima, das die bereitwilligen Sinne anregt und öffnet.

Die Italienfahrt von anno 1901 hat man, des geringen künstlerischen Ertrages wegen, ausgeblendet 1914 fuhr Klee mit August Macke und Louis Moilliet nach Tunesien. Über diese legendäre Trio-Tour war 1982 im Landesmuseum Münster eine große Ausstellung zu sehen, an die in Hamm einige Stücke erinnern. Weitere Stationen sind Sizilien (1924), Italien und Elba (1926), Südfrankreich und Korsika (1927).

Der Schwerpunkt aber liegt, der ägyptologischen Sammlung des Gustav-Lübcke-Museums gemäß, auf Klees Streifzügen durch das Land am Nil (1928/29). Einige Motive, die Klee dort vorgefunden hat, kann man hier sogleich in archäologischen Originalen bewundern.

Klee, Meister der Abstraktion, hat sich innig an der Natur geschult. Hellwache Wahrnehmung landschaftlicher Realität beweisen zahlreiche Skizzen von Felsformationen oder Küstenlinien, die fast als Vorläge für Landkarten dienen könnten. Klee nahm sie ins Werkverzeichnis auf. Es sind tatsächlich keine bloßen Abbilder der Wirklichkeit, sondern bereits künstlerisch inspirierte Vergewisserungen.

Wo alles Farbe und Bewegung wird

Hochinteressant ist es nun zu sehen, wie solche Landschaften oder auch Häuser zu gültigen Chiffren umgestaltet werden. Es ist, als habe Klee einen magischen Blick, der die Dinge in eine andere, wahrhaftigere Welt überführt, in der alles Farbe und strömende Bewegung wird.

Vielfältig sind die Ausdrucksformen: Von einer solchen Feinheit der Strichführung zeugen manche Blätter, daß man denkt, Klee habe etwa die diesigen Luftschichten, gleichsam den Schleier vor den Dingen, mitgezeichnet. Andere Arbeiten, wie etwa die „Scene vor einer arabischen Stadt“ oder „Predigt für Wüstentiere“, sind kleine Grotesken feinsinnigen Humors. Die „Ruinen von Git“ werden pointillistisch dargestellt und wirken wie ein antikes Mosaik. „Blick in das Fruchtland“, eines der subtilen Farbstreifen-Bilder Klees, weckt die Ur-Idee gedeihlichen Wachstums auf der guten Mutter Erde.

Klee schuf eigene Hieroglyphen, überließ sich dem Rätsel der Sphinx und zitierte geisterhaft die Pyramidenform herbei. Doch nie wird der Blick dieses Seelen-Zauberers touristisch. Immer zeigt er unendlich viel mehr, als man mit bloßem Auge sehen kann.

Paul Klee – „Reisen in den Süden“. Gustav-Lübcke-Museum, Hamm, Neue Bahnhofstraße 9. Bis 13. April, täglich (außer montags) 10-18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr. Eintritt 12 DM. Katalog 52 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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