Alptraum zwischen Mutter und Tochter – Pedro Almodóvars Film „High Heels“

Von Bernd Berke

Köln. Wer danach lechzt, daß sich Pedro Almodóvar mit seinem Film „High Heels“ (= hochhackige Damenschuhe) erneut einer sexuellen Obsession überläßt, wird enttäuscht sein. Anders als in dem Sado-Maso-Opus „Fessle mich“, hat der Spanier diesmal nicht erotische Abgründigkeiten ausgereizt. Sein neues Werk ist der grelle Alptraum von einer Mutter-Tochter-Beziehung.

Selbstbewußt-starke Mutter (Marisa Paredes als schillernde Sängerin und Diva) macht Karriere in Mexiko und läßt Tochter Rebeca allein beim Vater in Spanien aufwachsen.

Als sie 15 Jahre später endlich nach Madrid zurückkehrt, ist Rebeca (Victoria Abril) längst eine Frau, trägt selbst jene hochhackigen Schuhe – und ist mit dem Ex-Liebhaber der Mutter verheiratet. Da brennt die Lunte des Generationen-Konflikts alsbald lichterloh.  Satte bis schreiende Feuertöne zwischen Rot und Gelb beherrschen denn auch den Film. Es ist, als sei ein Ingmar Bergman, auf dessen MutterTochter-Geschichte in der „Herbstsonate“ hier einmal angespielt wird, in die Glut des Südens geraten.

Almodóvars Personen sind alles andere als in sich gefestigte Charaktere. Sie benehmen sich eher wie flüchtige chemische Elemente in rasch wechselnden Verbindungen. Auch die Mutter-Tochter-Beziehung wird so gleichsam durch alle Aggregatzustände getrieben. Die Kamera drängt sich dann oft brutal — schräg von oben her — an die Gesichter heran, als wolle sie ihnen ihr Geheimnis entreißen.

Doch wer ist wer? Da gibt es einen Transvestiten, der im Nachtclub die Glamour-Auftritte der Mutter frappierend nachahmt. Das Gesicht hinter der Travestie-Schminke wiederum sieht dem des Untersuchungsrichters, der später den Mord an Rebecas Mann aufklären soll, verdächtig ähnlich. Dieser gleicht seinerseits einem anonymen Fixer.

Derlei Mehrdeutigkeit stiftet denn auch lauter Kreuz- und Querverbindungen zwischen den Menschen, doch diese sind nur vorübergehende, gleichsam hysterische Zufälle. In einer Fotoladen-Szene reicht die bloße Verwechslung zweier Abholfilme schon fast aus, um ganze Lebensschicksale zu verwirren und zu vertauschen. Kein Wunder, daß die Frauen – um einen früheren Almodóvar-Titel zu zitieren – sich ständig „am Rande des Nervenzusammenbruchs“ bewegen und oft zu Beruhigungstabletten greifen.

Noch ein Rand ist immer nah: der zum Kitsch. Da quellen vielfach Tränen, da gibt’s sogar Ballett im Frauenknast. Aber gerade in solchen Szenen bleibt Almodóvar souverän: Nahezu kühl nutzt er die Gefühlswerte, die im Trivialen stecken, ohne aber vollends abzugleiten.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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