In 10 Minuten geliefert – Wozu die Hetze?

10 Minuten Lieferzeit? Da muss selbst die Kartoffel grinsen. (Foto: Bernd Berke)

Ich hab’s nicht ausprobiert und möchte das sowieso nicht. Seit relativ kurzer Zeit sind auch in Revier-Breiten diese wahnwitzigen Lieferdienste unterwegs, die versprechen, einen online vorbestellten Supermarkt-Einkauf bereits binnen 10 oder 15 Minuten zu bringen. Warum? Wozu? Weshalb?

So rasen sie denn durch Bochum, Dortmund oder Essen – Gorillas, Flink und Konsorten. Wer noch einen Dienst gründen möchte: „fix“, „flugs“ oder „schnurstracks“ heißt wohl noch keiner, oder?

Dermaßen riskant sind manche dieser Radfahrer unterwegs, dass man das Fürchten lernen kann. Zumal in Gemengelagen mit den allgegenwärtigen E-Rollern bringen sie sich und andere in Gefahr – und alles nur, damit ein paar Hanseln (oder Greteln) in Windeseile ihr Zeug bekommen, ohne dass die ihren werten A… aus dem Haus bewegen müssen. Manche mögen sich dabei auch noch hip und urban vorkommen oder als Umwelthelden fühlen: Sie lassen ja ihr Auto stehen und ein Fahrrad herbeieilen…

Auf die Sekunde getaktet

Inzwischen gibt es eine Menge Reportagen und Selbsterlebensberichte zum Thema. Nicht wenige haben sich als Kuriere verdingt, um „hautnah“ davon erzählen zu können. Auch das tue ich mir (und der geneigten Leserschaft) nicht an. Man kann den Artikeln entnehmen, dass die Abläufe ungemein eng, ja quasi sekundengenau getaktet sind. Unschwer auszumalen, wie sehr die Zeit den Kurieren im Nacken sitzt. Ihre Wege kreuzen sich beispielsweise mit denen der Amazon-, DHL- oder Hermes-Fahrer, die drauf und dran sind, immer mehr „Same Day“-Aufträge abzuwickeln, oder jener Getränkedienste, deren zweistündige Lieferzeit vergleichsweise „gemütlich“ klingt (es aber nicht ist). Jetzt sind also 10 oder 15 Minuten das neue Maß. Was kommt noch? Echtzeit?

Etliche Lagerräume mussten gemietet werden, damit die Supermarkt-Dienste jeweils nah bei der Innenstadt-Kundschaft sind. Abfolge und Aufbau der Warenregale sind offenbar dermaßen ausgeklügelt, dass jeder Zugriff ohne Verzögerung erfolgen kann. Zack! Und schon geht’s ab auf die Strecke. Doch wehe, es läuft dabei etwas schief. Dann gerät die ganze Lieferkette ins Trudeln. Ob das ohne Gebrüll und Chefgehabe abgeht? Ob es Kunden gibt, die sich schon nach 12 oder 13 Minuten beschweren, wenn 10 Minuten angesagt sind? Und ob bereits Mitarbeiter den Aufstand geprobt haben? Man kann dies und das nachlesen.

Erwartungen züchten

Was sind das wohl für Kunden? Es mag ja sein, dass man in ganz gewissen, sehr eng umrissenen Situationen mal einen solchen Service gebrauchen kann; im Herbst vielleicht auch wieder aus Quarantäne-Gründen, wer weiß. In aller Regel aber ist die Hetze herzlich unnötig. Das bloße Angebot züchtet überdies ungute Erwartungshaltungen heran. Gar nicht auszuschließen, dass es auch üble Zeitgenoss*innen gibt, die einfach ihr Selbstgefühl steigern oder sogar mal wieder einen Migranten springen lassen wollen. Motto: „Warum? Weil ich es kann!“ Wie ich solche Leute nennen möchte, überlasse ich Eurer Phantasie.

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 18 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Alltag, Arbeitswelt & Beruf, Gesellschaft, Luxus & Moden, Wahnwitz, Warenwelt & Werbung abgelegt und mit , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert