Barlach und Kollwitz im direkten Vergleich – Kölner Museum kann auch Exponate aus Güstrow zeigen

Von Bernd Berke

Köln. Ernst Barlach und Käthe Kollwitz nahmen zwar künstlerisch voneinander genau Kenntnis, pflegten persönlich aber nur eine oberflächliche Grußbekanntschaft. Beide werden heute vielfach in einem Atemzuge genannt. Jetzt kann man ihre Arbeiten direkt vergleichen, denn das Kölner Käthe Kollwitz-Museum bietet, ergänzend zum Eigenbesitz, einen Überblick zu Barlachs Werk aus Beständen in Ratzeburg und Güstrow.

Wegen der Winterschließung in Ratzeburg durfte man praktisch alle Exponate „ausräumen“ und nach Köln holen. Und die deutsche Vereinigung hat es natürlich enorm erleichtert, Werke aus Güstrow zu bekommen, wo Barlach lange lebte und wo sein Nachlaß sorgsam aufbewahrt wird.

Barlachs frühe Jugendstil-Zeichnungen „Klio“ und „Herbst“ (1900) sind noch ganz befangen in der Ornamentik dieser Richtung. Eigenständigkeit ist noch nicht erkennbar. Das ändert sich mit Barlachs Rußlandreise im Jahr 1906. Die dort angefertigten Zeichnungen und Skizzen bilden einen ersten Schwerpunkt der Ausstellung. Barlach hat hier bereits seine Fähigkeit entwickelt, seelische Zustände ganz „Figur werden zu lassen“, Form und Inhalt zur Deckung zu bringen.

Bestürzend aktuell sind einige Kriegs-Flugblätter Barlachs aus dem Jahr 1914. Wie leider so viele Künstler und Schriftsteller jener Zeit, war er anfangs geradezu „scharf auf Krieg“: Ganz ernst gemeinte Blätter wie „Heiliger Krieg“ (!) oder „Erst Sieg – dann Frieden!“ zeugen davon. Solch gedankenlose Militanz verflüchtigte sich freilich sehr rasch. Auch Käthe Kollwitz war ja nicht von allem Anfang an jene Pazifistin, als die sie später berühmt geworden ist.

Zentrales Motiv der Barlach-Zusammenstellung aber ist das Schweben. Immer wieder hat der Künstler schwebende Engel und andere Figuren in diesem losgelösten Zustand gezeichnet und als Skulpturen geformt. Am berühmtesten ist zweifellos das „Güstrower Ehrenmal“ (1927), ein „Engel, der an zwei Ketten im Dom zu Güstrow hing und 1937 von den Machthabern entfernt wurde. Durch die Kriegswirren blieb nur ein einziger Zweitguß vom Werkmodell erhalten, der sich heute just in Köln befindet, und zwar in der Antoniterkirche. Das Kollwitz-Museum zeigt nun einige Gipse und Vorzeichnungen aus Güstrow, die die Entwicklung des Schwebe-Motivs belegen. Außerdem kommen aus Güstrow Beispiele für zwei weitere Motivgruppen: Liebespaare und lesende Figuren. Schließlich fehlen auch so populäre Arbeiten wie etwa „Der Singende“ nicht.

Im besagten Vergleich zu den Kollwitz-Arbeiten fällt auf, daß Barlach weitaus mehr zum Innigen, Kontemplativen, Allegorischen und formal zum Abgerundeten, manchmal auch Gefälligen (z. B.: Russisches Liebespaar mit Balalaika, Porzellan-Bauer) tendiert. Brüche, Risse und Widersprüche sind seine Sache nicht. Hingegen setzt die Kollwitz dramatische, aufrüttelnde Akzente. Wenn jedoch Barlach z. B. Bettler zeichnet, ist nicht nur Mitleid mit den Elenden, sondern auch eine kleinbürgerliche Angst vor ihren Ansprüchen zu spüren.

Ernst Barlach. Skulpturen — Handzeichnungen — Druckgraphik. Kollwitz-Museum, Köln, Neumarkt 18 a. Bis 24 Februar 1991. Begleitheft 15 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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