Käthe Kollwitz – fern und doch so nah

Von Bernd Berke

Was dringt noch zu uns, wenn wir heute die Bilder der Käthe Kollwitz sehen? Treffen sie uns noch, diese Darstellungen der bitteren Armut und der Leiden am Kriege? Oder sind die Werke der Frau, die heute vor 50 Jahren gestorben ist, „ganz weit weg“?

Man darf sich vom heutigen Wohlstand nicht täuschen und einlullen lassen, auch nicht von der (doch sehr relativen) Distanz kriegerischer Greuel. Vieles von dem, was die gebürtige Königsbergerin in Graphik und Zeichnung ausgedrückt hat, ist wohl brisanter, als man hoffen mag. Manches rumort – wenn auch in anderen Gestalten – unter der Oberfläche. Und die Kollwitz hat die künstlerischen Mittel besessen, mit denen sie uns auch Jahrzehnte danach „anspricht“.

Oppositions-Bewegungen haben die eingängigen Bildformeln der Kollwitz immer wieder aufgegriffen – besonders wenn es galt, gegen Militarismus anzutreten. Ihr expressives Plakat „Nie wieder Krieg!“ wurde zum Banner der Friedensbewegung, ihre Mütterlichkeits-Darstellungen („Mutter mit Zwillingen“, „Turm der Mütter“, „Saatfrüchte dürfen nicht vermahlen werden“) zu Ikonen pazifistischer Sanftmut und Betroffenheit. Wer sonst hat den innigen Wunsch, Leben zu schützen und vor den Übeln der Welt zu bewahren, so gültig gestaltet wie Käthe Kollwitz?

Doch man kann sie nicht kurzerhand vereinnahmen, weder für diese noch für jene Seite. Käthe Kollwitz‘ Bilder und Skulpturen haben eben auch ihren bestimmten historischen Ort, ihre der bloßen Tagespolitik widerstrebende künstlerische Form. Vielfach im proletarischen Milieu Berlins entstanden (mit dem sie durch ihren Mann, den Armenarzt Karl Kollwitz in engste Berührung kam), können diese Werke nicht ohne weiteres für aktuelle Debatten in Dienst gestellt werden.

Ein besonderes Mißverhältnis zeigte sich auch, als nach der deutschen Vereinigung ihre Pietà-Figur „Trauernde Mutter mit totem Sohn“ in der Zentralen Deutschen Gedenkstätte („Neue Wache“) zu Berlin plaziert wurde, und zwar in einer geradezu monströs vergrößerten Nachbildung. Solche Figuren aber verlangen intimeres Format und Stille, sie taugen nicht recht zur Repräsentation bei staatlichen Traueraktcn. Hat denn Käthe Kollwitz nicht überhaupt mehr leise Bedachtsamkeit stiften wollen als laute Anklagen? Wer weiß, was tiefer und länger wirkt.

Vereinnahmen wollte man ihr Werk auch in der DDR. Da pries man Arbeiten wie jenes „Gedenkblatt für Karl Liebknecht“ oder die Radierfolge „Der Bauernkrieg“ – und verdrängte geflissentlich, daß die Kollwitz sich keineswegs zum Kommunismus bekannte, sondern wohl eher der Sozialdemokratie zuneigte.

Von den NS-Machthabern, die genau spürten, was ihnen gefährlich werden konnte, wurde 1936 gegen sie ein striktes Ausstellungsverbot verhängt. Als sie damals der sowjetischen „Iswestija“ ein Interview gab, wurde sie von der Gestapo verhört. Man drohte ihr KZ-Haft an. Sie hatte nicht mehr die Kraft, offen zu widerstehen oder ins Exil zu gehen.

1943 wurden ihre Wohnung und ihr Atelier in Berlin mitsamt etlichen Werken bei Bombenangriffen zerstört. Sie flüchtete nach Nordhausen, dann nach Moritzburg bei Dresden. Am 22. April 1945, wenige Tage vor Ende des Zweiten Weltkriegs, dessen in diesen Tagen so ausgiebig gedacht wird, ist sie dort gestorben.

Ein Überblick über das zeichnerische Werk von Käthe Kollwitz ist derzeit im Kölner Kollwitz-Museum zu sehen: Neumarkt 18-24, Tel.: 0221/227-2363. Bis 18. Juni, Di-So 10.17 Uhr, Do 10-20 Uhr.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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