„Es wäre schön, kein Schriftsteller zu sein“ – Gerhard Amanshausers Tagebücher

Was bleibt mir von einem solchen, 400 Seiten starken Buch im Gedächtnis, das ich vor etwa 5 Monaten aufmerksam, mit großem Interesse und – entgegen dem sicher wohlmeinenden Rat des Vorwortschreibers Daniel Kehlmann – kontinuierlich von Anfang bis zum Ende gelesen habe? Vor allem das Gefühl, dass sich diese Lektüre Seite für Seite gelohnt hat.

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Das Ende 2012 im Residenz Verlag posthum herausgegebene Buch der diarischen Aufzeichnungen des inzwischen schon 7 Jahre toten, aber noch immer als „Geheimtipp“ gehandelten österreichischen Schriftstellers Gerhard Amanshauser bietet neben bestechender Wahrnehmungstreue die facettenreiche Innenansicht eines intellektuell redlichen Autors, bei dessen Ausführungen man nie das Gefühl hat, der Autor habe bei diesen Tagebuchaufzeichnungen in erster Linie auf ihre spätere Veröffentlichung hin geschielt.

Sind seine Werke noch greifbar?

Man prüfe doch bitte einmal nach, ob auch nur eines der Bücher des von 1928 bis 2006 vorwiegend in Salzburg lebenden Schriftstellers G. Amanshauser auch nur in einer der Buchhandlungen Essens, Oberhausens, Bottrops, Duisburgs, Dortmunds oder Bochums (vielleicht dort?) griffbereit vorrätig ist. Man prüfe ebenso nach, ob in den Stadtbüchereien des Ruhrgebiets irgendwelche von seinen Büchern sofort ausleihbar und somit noch zugänglich sind. Meine Stichproben in Essen und Bottrop jedenfalls verliefen ergebnislos. Auch das hier vorgestellte Buch wird und wurde in den einschlägigen deutschen Buchhandlungen nicht beworben, nicht hervorgehoben, von gelegentlichen Besprechungen in der Süddeutschen Zeitung oder jüngst im Deutschlandfunk mal abgesehen.

Verlockender Titel?

Zugegeben, der Titel des Buches ist – wenn auch aus dem Zusammenhang gerissen – ein wörtliches Zitat von Amanshauser selber. Man findet den Satz irgendwo unter den Aufzeichnungen dieses Bandes. Ich glaube, es war noch vor der erreichten Hälfte des Buches. Wenn man Amanshauser als Schriftsteller schon etwas kennt oder sich vielleicht dabei an Nietzsches Selbstaussage „Nur Narr, nur Dichter!“ erinnert, ist der Titel in Ordnung. Vermag er aber auch jene, die Amanshauser überhaupt noch nicht kennen, dazu anzuregen, irgendeines seiner lesenswerten Bücher – wie z. B. „Als Barbar im Prater / Autobiographie einer Jugend“, „Mansardenbuch“, „Terrassenbuch“ oder „Sondierungen und Resonanzen“ endlich einmal aufzuspüren und zu lesen? Ich fürchte: Nein.

Der eine oder andere könnte sich bei diesem gewählten Titel doch vielleicht fragen: Warum sollte ich etwas von einem Schriftsteller lesen, dessen ausdrücklicher Herzenswunsch es offenbar gewesen ist, „kein Schriftsteller zu sein“? Oder sollten wir uns wie von ungefähr an das seltsame Phänomen erinnern, dass es wohl auch Propheten gegeben hat (vgl. das AT), die sich vehement der Zumutung zu entziehen suchten, Propheten zu sein, und ihr dennoch auf Dauer nicht zu entgehen vermochten.

Undogmatisch und diagnostisch

Mit undogmatisch diagnostischem Blick auf die Gegenwart hat Amanshauser nun tatsächlich und ziemlich illusionlos Zukünftiges mit im Visier. Auch wenn er von sich selber her ein „Schriftsteller wider Willen“ genannt sein mag, ein beachtlicher, ernst zu nehmender Schriftsteller ist er trotz kritischer Selbsteinschätzung zweifellos. Es fällt allerdings auf, dass in all seinen Tagebuchaufzeichnungen, insbesondere wenn sie sich auf das Schriftstellermilieu oder auf ihn selber beziehen, es nicht einen einzigen zeitgenössischen deutschsprachigen Schriftsteller von Rang für Amanshauser gibt, den er für literarisch herausragend und wirklich über alle Maßen hervorhebenswert halten würde.

Einigermaßen gut kommen immerhin Ilse Aichinger, Walter Kappacher, Franz Fühmann, Nicolas Born, H. C. Artmann, Arno Schmidt, Sarah Kirsch und Gerhard Meier weg. Über Thomas Bernhard weiß er allerdings recht Bedenkliches, das haften bleibt, zu vermerken (vgl. insbesondere S. 271). Indessen: Mich hat, auf bildende Künstler bezogen (und den Tagebüchern ebenfalls zu entnehmen), z. B. sehr gefreut, dass Gerhard Amanshauser offenbar mit dem schätzenswerten Rudolf Hradil sehr gut bekannt, gar befreundet, gewesen ist und ihn und seine Bilder ebenfalls recht hoch geschätzt hat.

Botschaft des Umschlags

Im Übrigen: Ich gebe es ja gerne zu: Die Umschlagsbildbotschaft des Buches im Verein mit dem gelb herausgehobenen Autorennamen und dem vollen schwarz und weiß gefassten Titel ist bei näherem Hinsehen eine andere, eine erkennbar ironisch gebrochene. Die nur etwas erhöht aufgestellte Dichterkopfskulptur seines scheinbar schon bei Lebzeiten verbürgten Nachruhms begegnet dem noch lebenden Menschen Amanshauser, dem fragenden Aufblick seiner geschlossenen Augen wie dem stummen Halblächeln seiner geschlossenen Lippen. Blickt hier das Konterfei als Artefakt herab auf das Leben oder das Leben ironisch hinauf auf die Kunst?

Auf Buchseite 10 heißt es innerhalb eines längeren, den eigentlichen Tagebuchaufzeichnungen vorangestellten Amanshauser-Zitats: „Wichtig war, dass ich als Dichter völlig unbekannt war und kaum jemals etwas dem Druck übergab; denn später als der Ruf des Schriftstellers sich verbreitete, nahm meine Lebensfreude wieder ab, so dass ich zu der Überzeugung kam, das Ansehen als Dichter könne in unseren Tagen nur widrige und fatale Folgen haben.“

Nicht systematisierbar

Kosmischer Maßstab, Astronomie, Himmelsbeobachtungen, Wetterwahrnehmungen, jahreszeitliche Natureindrücke, Leben mit dem Garten, Sehnsucht nach dem Süden (insbes. Italien), periodischer Italienaufenthalt und seltene, andere Kurzreisen, das pauschal-symbolische Nördliche (das politisch und auch atmosphärisch und vom Lebensstil her Bedenkliche nördlich der Alpen), konsequente Religions- und Ideologiefixierungsverweigerung, entschiedene Distanz zu jeglicher geschichtsphilosophischen Spielart, die grundlegend antinazistische Haltung, das anziehend-abstoßende alljährliche Ritual verlagsgebundener Autorentreffen unter scharfer Beobachtung, Symptome unaufhaltsam scheinenden Kulturzerfalls und fortgesetzt andauernder Naturzerstörung, schonungslos klare Beobachtungen, treffende Formulierungen, Pessimismus gepaart mit Ironie und Humor, bis zuletzt: völliges Fehlen jeglicher Weinerlichkeit in Anbetracht der eigenen schweren Parkinson-Erkrankung; im Gegenteil, nahezu Aussparung des Reden davon…

(Zwischengedanke: Hatten Kierkegaard und Thomas Mann recht, wenn sie meinten, dass mit Bewusstsein Kranke bessere Voraussetzungen für Erkenntnis(se) böten als naiv Gesunde?)

Ein gewichtiges Thema ist auch der unselige Nazismus des eigenen biologischen Vaters und das Gegengewicht des einerseits geistigen Vaters und Mentors und andererseits als Lyriker (nicht als Essayist und Aphoristiker) von Amanshauser keineswegs unkritisch gesehenen Hermann Hakel.

Übrigens: Zahllose, en passant bei seinem freien diarischen Schreiben entstandene eigene Aphorismen Amanshausers, die er selber nicht nachträglich aus ihrem Zusammenhang gelöst und so als Aphorismen gekennzeichnet hat, ließen sich den für diesen Band chronologisch ausgewählten Tagebuchaufzeichnungen Amanshausers aus den Jahren 1964-1999 entnehmen und neu zusammenstellen.

Gerhard Amanshauser: „Es wäre schön, kein Schriftsteller zu sein“. Tagebücher. Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg/Wien, 2012, 400 Seiten. 26,90 €

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