In Lübeck trifft man überall die Buddenbrooks – ein vorweihnachtlicher Streifzug durch die Hansestadt

Von Bernd Berke

Der vorher etwas triste Raum im Lübecker „Buddenbrook“-Haus ist nun feierlicht abgedunkelt. Vorn leuchtet ein mit weißen Lilien geschmückter Tannenbaum – ganz wie in Thomas Manns Roman. Es kommt Weihnachtsstimmung auf. Auf den Tellern liegt Naschwerk nach dem Rezept der „Buddenbrooks“: weiße und rote Baisers, dazu Plumcake. Mhh! Nicht zu verachten.

Ein reichliches, ebenfalls dem Roman nachempfundenes Büffet wird etwa vier Stunden später im mittelalterlichen Rathaus den Abend gesellig beschließen. Der legendäre Plettenpudding (Vanillecreme, Himbeer, Makronen) gehört dazu. Dass sich der schwächliche Buddenbrook-Spross Hanno an solchem Nachtisch gründlich den Magen verdorben hat, muss uns wohl nicht weiter stören.

Jetzt dürfen wir erst einmal einer Lesung aus dem Weihnachtskapitel der „Buddenbrooks“ lauschen – vorwiegend sind’s harmonisch klingende Passagen. Pro Kopf kostet der ganze Spaß 49 Euro, dafür soll es halt bitteschön besinnlich werden. Romanzitat: „Der ganze Saal, erfüllt von dem Dufte angesengter Tannenzweige, leuchtete und glitzerte von unzähligen kleinen Flammen …“

Unbehagen unter dem Tannenbaum

Es hat damit freilich noch eine andere Bewandtnis. Thomas Mann (1875-1955) schilderte in dem 1901 erschienenen, 1929 mit dem Nobelpreis gekrönten Werk Verfallserscheinungen des Bürgertums. Das Unbehagen bündelt sich ausgerechnet im Weihnachtskapitel: Die betagte Konsulin hält die alten Rituale nur mühsam aufrecht. Allenthalben sieht sie familiäre Fassaden bröckeln.

Christian Buddenbrook vergisst glatt das Fest, muss eigens geholt werden, enteilt dann in den Herren-Club, besäuselt sich dort und erzählt nach seiner Rückkehr an den gedeckten Tisch, wie „schmutzig“ man sich nach einem Punsch-Suff fühle. Peinlich! Zu schweigen davon, dass ein juristischer Schatten auf der Feier lastet, denn einem angeheirateten Familienmitglied droht eine Klage wegen grober wirtschaftlicher Verfehlungen…

Nun ja. Nach der Lesung beginnt die Führung durchs Haus und durch die schönen Gassen der Stadt. Heide Aumann kann dabei Thomas Mann seitenweise zitieren. Sie kennt alle Orte, an denen die „Buddenbrooks“ spielen: „Lübeck wird niemals genannt, ist aber immer gemeint.“

Sorgen und Stolz des Bürgertums

Lübecker alten Schlages, so heißt es, lassen Zugezogene erst ab der dritten Generation als Mitbürger gelten. Heide Aumann, als Kleinkind in die Hansestadt gekommen, ist hier just durch Thomas Mann heimisch geworden. Für sie sind die „Buddenbrooks“ ein „begehbarer Roman“, dessen Spuren an jeder Ecke zu finden sind. Sie weiß von einer aparten Spielart Lübecker Herkunftsstolzes zu berichten. Nach Erscheinen des Romans (den der Fischer-Verlag zunächst wegen „Überlänge“ nicht drucken mochte) kursierten Entschlüsselungs-Listen über etliche der mehr als 400 literarischen Gestalten. Besorgte Bürger wollten wissen, wer mit welcher ironisch gezeichneten Figur gemeint sei. Jahrzehnte später brüstete man sich: „Meine Ahnen kommen in ,Buddenbrooks‘ vor.“

Der Stadtplan ist übersät mit Schauplätzen des Romans, mittendrin das Buddenbrook-Haus in der Mengstraße. Es gehörte Thomas Manns Großvater. Der Schriftsteller hat hier nie gelebt, aber natürlich hat er das prächtige Domizil gekannt – auch aus Weihnachtstagen.

Das Gebäude wurde 1942 von Kriegsbomben getroffen, nur die Fassade mit dem Spruch „dominus providebit“ (Gott wird für uns sorgen) und der Gewölbekeller blieben erhalten, alles andere entstand neu. So ähnelt das Landschaftszimmer aus dem Weihnachtskapitel zwar dem Original, es ist aber eine Rekonstruktion. Nebenan glitzert der Bescherungsraum. Auf dem Gabentisch lockt eine entzückende Replik jenes Papier-Theaters mit „Fidelio“-Kulisse, das Hanno Buddenbrook als Geschenk bekam.

Deutschnote „Befriedigend“ für Thomas Mann

Obwohl Lübeck im Krieg „nur“ zu 20 Prozent zerstört wurde, bleibt mancher historische Bezug der Phantasie überlassen. Wo einst Thomas Manns Bruder Heinrich geboren wurde, steht die Commerzbank. Nur eine Gedenktafel erinnert ans Gewesene. Doch immer wieder spürt man den Geist des Ortes, so etwa vor St. Marien (Taufkirehe der Manns) oder im idvllischen Ägidienviertel, wo ehedem vor allem Handwerker wohnten und wo sich das Handels-Stammhaus der Manns befand. Rund um St. Ägidien gibt es noch einige dieser schmalen „Gänge“ (vernünftiges Richtmaß: Sargbreite), die in überaus schmucke Wohnhöfe führen.

Kurz darauf steht man vor Thomas Manns Gymnasium „Katharineum“ und erfährt, dass der nachmalige Nobelpreisträger drei schulische „Ehrenrunden“ drehen musste. Selbst in Deutsch bekam er nur ein „Befriedigend“.

Zwar liegt noch kein Schnee, doch gibt’s zur Aufwärmung einen Punsch namens „Bischof“, wie ihn die Buddenbrooks beizeiten geschlürft haben. Dazu lassen Drehorgelspieler ihre Melodien hören. Im Buch kamen sie aus Italien und gehörten unbedingt zur Jahreszeit. Jetzt ist es touristisches Arrangement.

Sehen, hören, schmecken. Viele Sinne werden angesprochen. So kommt man Thomas Mann ein wenig auf die Spuren und (siehe Schulkarriere) auf die Schliche. Darauf zum Schluss ein Glas Rotspon, die Lübecker Weinspezialität. Und über bürgerlichen Verfall reden wir ein andermal.

• Literarisch-kulinarische Stadtführung („Weihnachten bei Buddenbrooks“) durch Lübeck. Zur Adventszeit jeweils freitags und samstags ab 18 Uhr (49 € pro Person). Infos/ Buchung: 01805/88 22 33.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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