Dachau und die schönen Künste

Von Bernd Berke

Es gibt Orte, die tragen untilgbar tiefe Spuren der Geschichte. Es gibt Leute, die neudeutsch „Image-Pfleger“ heißen und kein Einsehen haben. Zu ihnen gehört wohl auch Dr. Lorenz Reitmeier, Oberbürgermeister der bayerischen Stadt Dachau.

Von Haus aus Jurist, hat sich Reitmeier aufs Feld der Kunst begeben und nun mit Schreiben „an d i e Kulturjournalisten und Kunstkritiker in Deutschland“ – eine Adresse, die nach Kampagne klingt – ein Buch geschickt. Es enthält für 198 DM satte 1700 Farbabbildungen auf teurem Hochglanzpapjer und heißt „Dachau, der berühmte Malerort“. Uns liegt eine „Sonderaufläge für die Stadt Dachau“ vor (die bestimmt ganz ohne jeden Steuergroschen entstanden ist, oder?). Der Süddeutsche Verlag erklärt sich verschämt nur für die „technische Gesamtherstellung“ zuständig,

Angeblich eigenständig hat Reitmeier alle Recherchen getätigt, um jedes, aber auch wirklich jedes Kunstwerks habhaft zu werden, das nur irgend mit dem Namen Dachau zu tun hat. Zwar haben dort auch Koryphäen wie Lovis Corinth und Christian Morgenstern gearbeitet (während man sich mit Ludwig Thoma – bei Licht betrachtet – schon weniger brüsten kann, war der doch auf seine alten Tage ein übler Nationalist). Aber bei der Unzahl von Bildern handelt es sich in erster Linie um gemalte Heimattümelei. Die schiere Fülle soll die Sinne des Betrachters überwältigen und den Schluß nahelegen: „Aha, in Dachau ist die Kunst daheim“.

Natürlich weiß auch Reitmeier, gegen welche Vergangenheit er diese Bilderflut stellt. Das ist es ja gerade. Er tut es ganz gezielt, obgleich, wie er pikiert feststellt, das KZ, das unter dem Namen Dachau weltweit berüchtigt war, doch „in einer Nachbargemeinde“ angesiedelt war. Zitat aus dem Klappentext: „Der Glanz des Namens Dachau wurde seit 1933 überschattet von den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die unter dem Namen Dachau begangen wurden. Glücklicherweise aber blühte die Kunsttradition Dachaus nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf…“ — Glücklicherweise.

So leicht ist die Geschichte entsorgt, gleichsam durch die Gnade der vielen Bilder. In Dachau hat man sich schon öfter schwergetan, wenn es darum ging, der NS-Zeit wirklich zu gedenken. Das unwürdige Gerangel um eine Begegnungs- und Erinnerungsstätte, die man am Ort nicht haben mochte, ging lange durch die Medien.

In Dachau wurde bereits im März 1933 eines der ersten KZs in Deutschland errichtet, das später 125 Außenstellen „betreute“. Etwa 200 000 Häftlinge waren in Dachau interniert, 34 000 starben.

Selbst wenn Picasso dort gearbeitet hätte: Ein Ort mit dieser düsteren Geschichte kann nicht ohne weiteres zum „Ort der Kunst“ erklärt werden.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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