Ein Mann spielt um sein Leben – Tankred Dorsts „Ich, Feuerbach“ am WLT

Von Bernd Berke

Schäbige Theaterwelt: Wie Gemmpel türmen sich die Requisiten, alles wirkt wie „von gestern“, als sei die Farbe abgeblättert. Aus Schweigen und Finsternis – wie am ersten Schöpfungstag – taucht einer auf, der hierher paßt: schlecht sitzender Anzug, abgetragene Schuhe, loser Schlips — eine leicht „verrutschte“ Figur, umgeben von einem Hauch der Verwahrlosung.

Der Mann heißt Feuerbach, ist Schauspieler und zum Vorsprechen geladen. Doch der Regisseur, ein gewisser Lettau, läßt – fast wie Becketts „Godot“ – auf sich warten, nur sein Assistent ist da. Daraus entwickelt sich in Tankred Dorsts Stück „Ich, Feuerbach“, das jetzt im Studio des Westfälischen Landestheaters (WLT) Premiere hatte, ein Quasi-Monolog.

Feuerbach spielt – zwei Stunden ohne Pause – um sein Leben. Sogar vor dem Assistenten, den er eigentlich verachtet, versucht er, sein ganzes Rollen-Register abzuspulen; doch es sind nur noch Rollensplitter, die Wahrheit seines verpfuschten Lebens bricht immer wieder durch. „Feuerbach“ war, wie sich schließlich herausstellt, einige Jahre in einer Heilanstalt; den Anschluß an das Theater, an die dort erforderliche Kunst-Disziplin, sucht er mit wachsender Verzweiflung.

Regisseur Manfred Repp setzt kräftige Kontraste. Offenbar um den Anschein zu verstärken, „Feuerbachs“ Wahn könne entstelltes Anzeichen von Genialität sein, bleiben der Regie-Assistent (Peter Dobrowolski), „Frau Angermeier“ (Gabriela Leinitzer) sowie zwei mürrische Bühnenarbeiter geheimnislose Karikaturen, nur durch wenige „Running Gags“ gekennzeichnet: Der Assistent, amusisch wie eine Mohrrübe, kratzt sich beständig dummlich-obszön zwischen den Beinen, „Frau Angermeier“ nestelt ebenso hartnäckig an ihrem Halstuch.

Schwierig die Titelrolle: Sie verführt zu lauter Bravourstückchen, doch der Darsteller muß sein eventuelles Virtuosentum zügeln, gilt es doch, einen Schauspieler zu zeigen, von dem man eben nie eindeutig wissen darf, ob das Flackern zwischen Hochmut und Depression womöglich auf Genie hindeutet. Feuerbach-Darsteller Norbert A. Muzzulini gelingt die Gratwanderung über weite Strekken überzeugend, nur gelegentlich verfällt auch er zu sehr in Extreme: Schreie und Flüstern. Das mindert die subtile Spannung des Stücks.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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