Eigener Bericht
Arnsberg/Dortmund. (bke) „Roter Hund, raus!“ – ein Testsatz, der es in sich hat. Auf Sauerländisch Platt lautet er: „Räoe Ruie riut!“ Wer die halsbrecherische Folge kehliger R’s und die Diphtonge (Zwielaute wie „äo“ oder „iu“) nicht einwandfrei hinbekommt, der kann auch kein „Platt“ – zumindest nicht die kurkölnisch-sauerländischen Variante, wie sie im Hochsauerlandkreis und im Kreis Olpe „gekuiert“ (gesprochen) wird.
So richtig können es ja eigentlich nur noch die Alteingesessenen. Vor allem ältere Mitarbeiter waren es auch, die, auf Anregung des Sauerländischen Heimatbundes, von 1982 bis 1988 die Fleißarbeit für ein „Plattdeutsches Wörterbuch für das kurkölnische Sauerland“ leisteten. Das Ende 1988 erschienene Buch (Strobel-Verlag, Arnsberg, 272 Seiten; 24,80 DM) hat Erfolg. Die Startauflage von 1500 Stück war im Nu ausverkauft, jetzt ist die zweite im Handel. Zwei eifrige Zulieferer des Wörterbuchs, Dr. Maria Rörig und Ludwig Klute, bei ihrem Besuch im Dortmunder Rundschau-Haus: „Der Band ist wirklich ins Volk gegangen“.
Zwar hat die Kommission für „Mundart- und Namenforschung Westfalens“ (Münster) die rund 5000 Worte wissenschaftlich überprüft; doch das Resultat ist kein trockener Germanisten-Stoff. Dafür sorgt schon die Auflockerung durch Fotos und Redewendungen. Ludwig Klute: „Ganze Familien blättern gemeinsam in dem Wörterbuch.“
In den Wortkolumnen findet man viele Beleg-Sätze für die oft drastische Komik der Mundart. Maria Rörig charakterisiert Sauerländer Platt als besonders wortmalerisch. Im Unterschied zum bedächtigen Münsterländisch wirke das Sauerländische lebendiger, beweglicher – „wie eine Quelle, von denen diese Region so viele hat“. Daß Sauerländer gern foppten und Schabernack trieben, hat sich in die Mundart „eingeschrieben“. Ein Beispiel für die derbe Bildkraft: Den Umstand, daß eine junge Frau im Haus Männer anzieht, beschreibt eine Redewendung so: „Bai siek ne Hitte imme Hiuse höllet, matt leyen, dat de Bock düört Finster keyket“ — Wer eine Ziege im Haus hält, muß dulden, daß der Bock durchs Fenster (herein)schaut.
Sprachlich näher an Holland als am Siegerland
Eine Grenze zieht Ludwig Klute: „Wir haben sprachlich mehr mit Holland zu tun als mit dem Siegerland.“ Sauerländer Platt hat allerdings seinerseits etliche Spielarten. Beispiel „Braut“: Dem Wörterbuch zufolge sagt(e) man in Arnsberg-Sundern „Bruie“, in Brilon „Bröit“, in Elspe „Bröut“, in Schmallenberg „Bröüt“, in Attendorn und Olpe „Brut“ (mit langem „u“), in Olpe auch „Brüe“, in Balve „Bruite“…
Auch Maria Rörig (aus Endorf) und Ludwig Klute (aus Allendorf) mußten feststellen, daß sie als Kinder verschiedene „Platts“ gelernt haben. Das Wörterbuch solle jedoch auch zur Überwindung des Kirchturmdenkens beitragen. Da „Platt“ keine wirklich lebendige Sprache mehr sei und jüngere Leute es höchstens noch „streypelig“ (mit Hochdeutsch vermischt) beherrschten, gelte es „zu retten, was zu retten ist“. Der (sprach)-denkmalschützerische, konservatorische Aspekt steht also im Vordergrund.
Immerhin, so Maria Rörig, gebe es Anzeichen für eine Rückbesinnung („Platt“-Messen, Lesewettbewerbe usw.). Falsch sei es jedenfalls, die Mundart künstlich wiederzubeleben, indem man den Duden Wort für Wort in ein synthetisches Platt übertrage und Begriffe wie „Computer“ einschließe. Für das Wörterbuch ist man umgekehrt vorgegangen: Aufgrund bestehender Wortlisten wurde das tatsächlich gesprochene Platt ermittelt. Maria Rörig: Man habe gleichsam ein echtes Fachwerkhaus restauriert, statt es bloß nachzubauen.
So wird das Wörterbuch zum „Wort-Museum“, zum authentischen Dokument alter Volkskultur. Wenn Maria Rörig und Ludwig Klute von und auf Platt erzählen, kommen sie schnell auf alte sauerländische Originale und „Dönekes“ zu sprechen. Auch erschließt Platt die versunkene Lebenswelt der früheren Landwirtschaft und des einfachen Handwerks.