Von Bernd Berke
Wuppertal. Mut zum eigenwilligen Spielplan beweisen die Wuppertaler Bühnen. Binnen zehn Tagen gab es nun schon die zweite deutsche Erstaufführung. Nach Ayckbourns „Stromaufwärts“ jetzt: Judith Herzbergs „Schadenfreude“ (Regie: Ulrich Greiff).
Judith Herzberg (50), geboren in Amsterdam, ist Jüdin. Ihr Stück (Originaltitel: „Leedvermaak“) führt eine Anzahl von Menschen bei einer Hochzeitsfeier zusammen. Die jüdischen Eltern der Braut haben zwar die KZ-Haft überlebt, sind aber seelisch zerstört. Unauslöschliehe Nachwirkungen auch bei der Braut „Lea“, die „damals“, ihrer Identität beraubt, zu einer christlichen „Kriegsmutter“ kam. Dazu die Eltern des Bräutigams, die jeweiligen Ex-Ehepartner der Brautleute; schließlich „Daniel“, der wie eine Leidensfigur aus den Kriegstagen in die Jetztzeit hereinragt.
Hochzeiten veranlassen für gewöhnlich die Älteren zur Bilanz, die Jüngeren zur Zukunftsschau. Doch wenn da keine nennenswerte Zukunft ist, sondern nur übermächtige Vergangenheit, dann weiten sich die üblichen Beziehungskatastrophen in neue Dimensionen. Das Trauma der Verfolgung bricht immer wieder durch, macht jedes Gespräch zur Verletzung, jede Annäherung zur Entfernung.
Gespielt wird auf der breiten Fläche des Foyers, gleichsam in „Cinemascope“. Die Fassade: üppiges Buffet, Hut- und Mantelablage, blaue Sitzgarnitur, große Zimmerpflanze. Und Treppen, die ausgiebig genutzt werden. Es herrscht ein unaufhöfliches Kommen und Gehen. In Dutzenden von Mini-Szenen defilieren die Figureneinzeln, paar- oder gruppenweise vorbei. Auf scheinbar unverbindliches Party-Gewäsch folgt Ehezerwürfnis, auf Jux und Dollerei tiefgründelnde Lebensphilosbphie, und zwischendurch – beinahe wie ungewollt – obsessive Erinnerung an die Kriegszeit. Schaden, ja und Freude auch, hie und dort. Aber „Schadenfreude“? Bei uns Zuschauern?
In Wuppertal wird die Nummern-Dramaturgie recht unelegant umgesetzt. Merklich aufs Stichwort hin erscheinen manche Darsteller, liefern Szenen ab. Manchmal wird über den Text sinniert, anstatt daß er „gegeben“ wird. In der Konversation raschelt Papier. Rühmlichste Ausnahmen: Ursula von Reibnitz als Leas Mutter Ada, Siegfried Maschek als Bräutigam Nico.
Das Stück verweigert Herleitungen und psychologische Stimmigkeit, es führt seine Personen nur punktuell vor. Unmerklich haben sich von Szene zu Szene die Beziehungen verschoben, Erdverwerfungen gleich. In Wuppertal aber bleibt das meist schimärenhaft, ungreifbar, wirkt wie aneinandergepappt.
Verständlich, daß ein deutsches Theater bei diesem Thema nicht den Mut zum possenhaften Vaudeville aufbringt, das doch im Programmheft so zustimmend als Ingredienz des niederländischen Theaters bezeichnet wird. Folge aber: Da das Lachen sich nicht einstellt, kann es auch nicht im Halse steckenbleiben.