Schlagwort-Archive: Ulrich Greiff

Cleverer Onkel und ein Kultur-Eckchen für die Damen – Carl Sternheims „Tabula rasa“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Diese Farbsymbolik ist schon reichlich dick aufgetragen: Wenn in der Wuppertaler Inszenierung von Carl Stemheims Stück „Tabula rasa“ wirtschaftlich-politische Dinge verhandelt werden, spielen sie sich in Wolf Münzners Bühnenbild auf einer großen grauen Fläche ab, die bis in die Tiefe der Bühne reicht und fast nur den Herren der Schöpfung vorbehalten bleibt.

Für die dienenden Damen gibt’s links vorn, schräg nach hinten gekippt, ein kleines rosarotes „Kultur-Eckchen“ mit Klavier, Staffelei, Ballettstange und Spiegel. Die Verbindung beider Sphären ist denkbar gering und wacklig: Mit einem Bein ragt ein Tisch aus dem grauen in den rosaroten Bereich, nur gestützt von einer winzigen Klassiker-Büste.

An dem Tisch residiert Wilhelm Ständer, Sozialdemokrat auf Abwegen: Heimlich ist er zum Mitaktionär der … Weiterlesen

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Provokation ohne Ertrag – Franz Xaver Kroetz‘ „Stallerhof“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

In der Geisterbahn bekommt die geistig „zurückgebliebene“ Stallerhof-Tochter „Beppi“ dermaßen Angst, daß ihr etwas höchst Peinliches passiert. Der alte Hofknecht Sepp heißt sie die Unterwäsche ausziehen und beseitigt hilfreich die Spuren des Malheurs. Dann geschieht’s, wie in einem Anfall: „Nimmt sie, entjungfert sie“, heißt es lakonisch in Franz Xaver Kroetz‘ Szenenanweisung.

Auf dem Wuppertaler Bühnenboden folgt die Andeutung eines hastig-bizarren Beischlafs. Einem praktizierenden Zyniker im Parkett reichte das quicke Tempo noch nicht: „Schneller!“, feuerte er die Darsteller lautstark an. Auch andere wollten es hinter sich haben: Diese Szene der „Stallerhof“Inszenierung (Regie: Ulrich Greiff) sorgte bei der Premiere für einen veritablen Publikums-Exodus. Dutzende verließen zornig das Elberfelder Schauspielhaus. Hier kann Theater noch schockieren.

Der Inhalt des 1972 uraufgeführten … Weiterlesen

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Dichtes und konzentriertes Schauspielertheater – Ibsens „Gespenster“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Schon Theatertradition hat die Spöttermeinung, nach der mit dem medizinischen Fortschritt ein Großteil der Konflikte in Henrik Ibsens „Gespenster“-Drama sich von selbst erledigt hätte. Das schlimme Erbteil des alten Lüstlings Alving, der seinem Sohn Osvald Syphillis und Hirnparalyse „vermacht“, hätte quasi ausgeschlagen werden können, und der ganze Familienabgrund, den dieses 1881 uraufgeführte Stück aufrührt, wäre bedeckt geblieben.

Man muß gar nicht an „Aids“ denken, um dem Stück neue Aktualität aufzuzwingen. Es handelt natürlich nur nebenbei auf medizinischer, vor allem aber auf psychologischer und gesellschaftlicher Ebene von den „Gespenstern“ einer Vergangenheit, die „nicht einmal vergangen ist“, mächtig das Heute überschattet und „späte Geburt“ eher zum Fluch macht.

Ulrich Greiffs Wuppertaler Inszenierung riskiert keine Neudeutung, sie ist konventionell … Weiterlesen

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Das Mädchen-Pensionat von Theben – Aischylos in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Wer das „siebentorige Theben“ erbaut hat, ist spätestens seit Bert Brechts Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“ kein großes Geheimnis mehr: Nicht Herrscher waren es (die ließen bauen), sondern das gemeine Volk. Von jenen, die die Stadt hernach in tödliche Gefahr brachten, handelt Aischylos um 467 v. Chr. uraufgeführtes Stück „Die Sieben gegen Theben“, mit dem das Wuppertaler Theater jetzt die neue Saison eröffnete.

Auf dem Geschlecht von Eteokles und Polyneikes, den Söhnen des Ödipus, lastet der Fluch der Götter. Die Brüder haben eine Art „Rotations-System“ vereinbart: Jeder soll abwechselnd ein Jahr in Theben regieren. Doch – und damit setzt die Tragödie ein – Eteokles verweigert die Übergabe der Herrschaft und läßt die Stadt verbarrikadieren.

Von allem … Weiterlesen

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Wechselbäder zwischen Revolte und Schunkellied – Lokalrevue „Oh, du mein Wuppertal“ uraufgeführt

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Oh, du mein Wuppertal“ heißt die Revue. „Ach, du meine Güte!“, könnte man antworten. Denn schier alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde für diese (andernorts kaum nachspielbare) Uraufführung im Wuppertaler Schauspielhaus gleichsam „eingemeindet“. Stellenweise wuchs sich das zu einem monströsen Panoptikum der Beliebigkeit aus.

Worauf herauf? Sollte es eine Polit-Revue sein – mit jenen Texten von Ernesto Cardenal (dessen Bücher in einem Wuppertaler Verlag erscheinen) und Heinrich Böll (der 1966 die Eröffnungsrede im Wuppertaler Schauspielhaus hielt)? Oder ein Abend mit karnevalsreifen „Vertällches“, dargeboten vom Orts-Original Hans „Ötte“ Geib? Oder gar doch ein poetischer Abend mit Lyrik der Wuppertalerin Else Lasker-Schüler? Oder eine trunkene Liebeserklärung an Stadt und Region mit dem „Bergischen Heimatlied“ und Songs … Weiterlesen

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„Dantons Tod“: Die Revolution als Kasperltheater

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Dantons Tod“ ist von der ersten Szene an eine Tatsache, die nur noch nicht ganz eingetreten ist.

Der ehedem revolutionäre Melancholiker verbirgt sich vor der elenden Schreckensherrschaft Robespierres unter Julies weißem Rock – und der ist schon ein symbolisches Leichentuch. Mit Georg Büchners Stück, dessen Untertitel „Die Revolution frißt ihre Kinder“ lauten könnte, eröffnete das Wuppertaler Schauspielhaus die neue Spielzeit.

Von „Revolution“ ist nichts mehr zu spüren in Ulrich Greiffs Inszenierung. Robespierres Guillotinen-Terror, im Namen einer genußfeindlichen „Tugend“ rasend geworden, hat nicht nur die politische Vernunft, sondern die ganze Realität ausgelöscht. Simon (Holger Schamberg) hockt, dem Publikum zugewandt, wie ein Shakespearscher Narr in seinem Souffleurkasten und pocht – zum Ersten, zum Zweiten, zum Letzten – die … Weiterlesen

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Endloses Trauma der Verfolgten – Judith Herzbergs „Schadenfreude“ in deutscher Erstaufführung

Von Bernd Berke

Wuppertal. Mut zum eigenwilligen Spielplan beweisen die Wuppertaler Bühnen. Binnen zehn Tagen gab es nun schon die zweite deutsche Erstaufführung. Nach Ayckbourns „Stromaufwärts“ jetzt: Judith Herzbergs „Schadenfreude“ (Regie: Ulrich Greiff).

Judith Herzberg (50), geboren in Amsterdam, ist Jüdin. Ihr Stück (Originaltitel: „Leedvermaak“) führt eine Anzahl von Menschen bei einer Hochzeitsfeier zusammen. Die jüdischen Eltern der Braut haben zwar die KZ-Haft überlebt, sind aber seelisch zerstört. Unauslöschliehe Nachwirkungen auch bei der Braut „Lea“, die „damals“, ihrer Identität beraubt, zu einer christlichen „Kriegsmutter“ kam. Dazu die Eltern des Bräutigams, die jeweiligen Ex-Ehepartner der Brautleute; schließlich „Daniel“, der wie eine Leidensfigur aus den Kriegstagen in die Jetztzeit hereinragt.

Hochzeiten veranlassen für gewöhnlich die Älteren zur Bilanz, die Jüngeren zur Zukunftsschau. … Weiterlesen

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Büchners „Woyzeck“ in Wuppertal – Inszenierung lässt vieles offen

Von Bernd Berke

Wuppertal. Mit Georg Büchners „Woyzeck“ ist das so eine Sache. Seit Generationen streiten sich die Philologen, in welche Reihenfolge die Szenen gehören (wovon u. a. abhängt, ob Woyzecks Gang ins Wasser als Selbstmord oder als Reinigung anzusehen wäre), ja die Gelehrten sind sich noch nicht einmal einig, ob es sich um ein „Fragment“ handelt oder ob die offene Dramenform als in sich abgeschlossen zu gelten hat.

Wuppertals Bühnen haben sich in Gestalt des Regisseurs Ulrich Greiff und seines Dramaturgen Lothar Schwab dafür entschieden, die Sache nicht gar so ernst zu nehmen. Im Programmheft läßt Schwab durchblicken, daß man die Szenen nahezu beliebig umstellen könne, was während der Proben auch mehrfach geschehen sei.

Und so läßt denn diese … Weiterlesen

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