Schocks und Lügen – Fotos aus 35 Kriegen

Von Bernd Berke

Siegen/Recklinghausen. K e i n Kunstgenuß erwartet die Besucher der Kunsthalle Recklinghausen und der Städtischen Galerie „Haus Seel“ in Siegen.

Gleichzeitig in beiden Häusern wird man jetzt mit schonungslosen Dokumenten menschlichen Leids konfrontiert: „Bilder vom Krieg“, eine vom Hamburger „Stern“-Magazin zusammengestellte Ausstellung mit 254 Schwarz-Weiß-Fotos, zeigt unfaßbare Szenen der Grausamkeit vom Amerikanisch-Mexikanischen Krieg (1848) bis zur Schlacht um Beirut (1982): US-Bürgerkrieg, Krimkrieg, Kolonialkriege, die beiden Weltkriege, Hiroshima, Korea- und Vietnamkrieg, Sinaikrieg und, und, und…

Der Schock, der sich unfehlbar einstellt, wenn man die Bilder aus über 130 Jahren und 35 verschiedenen Kriegen sieht, ist selbstverständlich beabsichtigt. Man kann die Ausstellung nur mit dem brennenden Wunsch „Nie wieder Krieg!“ verlassen.

Allerdings zeigen nicht all diese Bilder das wahre Gesicht des Krieges. Besonders in der Frühzeit der Fotografie nämlich gaben Schlachtenlenker die Parole „No dead bodies“ („Bloß keine Leichen“) aus, um dem Volk weiter den hehren Einsatz fürs Vaterland und siegreiches Heldentum vorgaukeln zu können.

Waren es zunächst naiv-idyllische Genre-Szenen, die man mit dem Fotoapparat herbeilog, so sollte die Illusionsmaschinerie bald zur Attacke übergehen: Regierende und Militärs erklärten die Arbeit des Kriegsfotografen zum kriegswichtigen „Wehrdienst mit der Kamera“ (man denkt unwillkürlich an den Ausdruck „ein Bild schießen“). Statt zerfetzter Leichen mußten also also z. B. stolzgeschwellte Veteranen des Krimkriegs oder auch eine pittoreske weiße Wolke vor dem Kanonenröhr abgelichtet werden, als diene der Gebrauch der Waffe einzig dem ästhetischen Vergnügen. Kriegslüstern jubelnde Soldaten und Zivilisten (Aufbruch in den 1. Weltkrieg), immer wieder von falscher Romantik triefende Bilder mit Soldatenbräuten oder zynischer Show-Glamour beim Auftritt von Front-Unterhaltern (z.B. Marilyn Monroe im Koreakrieg) gehören in verwandte Kategorien. Man erschrickt über die vielföltigen Möglichkeiten fotografischer Manipulation.

Wenn dennoch realistische Bilder gemacht wurden, bekamen die jeweiligen Zeitgenossen sie oft nicht zu Gesicht. Die Aufnahmen verschwanden in Archiven und wurden erst späteren Generationen zugänglich gemacht. In neuerer Zeit, so macht die Ausstellung deutlich, nahm die Ehrlichkeit (oder nur die Abgebrühtheit der Massenmedien und ihrer Konsumenten?) zu: Bei den schlimmsten Ereignisse waren und sind die Zeitgenossen nun „live“ dabei. Der Vietnam-Krieg war übrigens der erste, bei dem die Kamera Anklägerfunktion bekam und bewußt als „Waffe“ gegen den Krieg eingesetzt wurde.

„Bilder vom Krieg“: Kunsthalle Recklinghausen 28. August bis 20. September / Siegen (Städtische Galerie Haus Seel) 27. August bis 18. September, Katalog 29,80 DM

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 7 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Fotografie, Krieg & Frieden abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.