Neues Ruhrfestspiel-Ensemble will engen Kontakt zur Arbeitswelt – zu Besuch im Dortmunder Rundschau-Haus

Von Bernd Berke

Dortmund. „Es ist eine ganz neue Erfahrung, Eisenstaub, Hitze und Lärm bei Hoesch selbst zu erleben.“ So staunte, stellvertretend für seine Kollegen, ein Mitglied des neuen Ensembles der Ruhrfestspiele beim gestrigen Besuch im Rundschau-Haus. Die 29köpfige Truppe kam direkt von Betriebsbesichtigungen bei Opel/Bochum und den Dortmunder Hoesch-Werken „Westfalenhütte“ und „Phoenix“.

Beim Redaktionsbesuch diskutierten die Theaterleute mit Wirtschaftsredakteur Frank Bünte und WR-Kulturredakteur Johann Wohlgemuth. Thema: Krise und Zukunftsaussichten des Reviers.

Den Kontakt zur Arbeitswelt nimmt das neue (im Schnitt recht junge) Ensemble sehr ernst. Seit 14 Tagen knüpfte und festigte man Verbindungen zu Betriebsräten, Gewerkschaftern und Belegschaftsmitgliedern. Auch die Kumpel der bedrohten Dortmunder Zeche „Gneisenau“ und ihre streitbaren Frauen standen auf dem Besuchs-Programm der Bühnenleute. Eine „Gneisenau“-Besichtigung vor Ort scheiterte allerdings an „geologischen Schwierigkeiten“, die dort geltend gemacht wurden.

Wolfgang Lichtenstein, neuer Ensemble-Leiter: „Wir müssen immer wieder in die Betriebe gehen, damit es nicht bei einern oberflächlichen ,Sozialtourismus‘ oder einem unverbindlichen Ausflug in die Arbeitswelt bleibt.“ Da die aus allen Teilen der Bundesrepublik stammenden Ensemblemitglieder erst seit dem 15. August fest miteinander arbeiten könnten, befinde man sich noch in einem frühen Vorbereitungsstadium. Bis zur Stunde sei keine größere Festspiel-Produktion für die nächste Saison zur Bekanntgabe reif. Die Stück-Auswahl erfolge nach streng demokratischen Regeln. Lichtenstein: „Jeder kann Vorschläge machen, die dann vom gesamten Ensemble diskutiert werden.“

Ein Projekt über die 35-Stunden-Woche, das gemeinsam mit 19 Opel-Arbeitern verwirklicht werden soll, ist allerdings schon vereinbart. Ins Auge gefaßt hat man auch eine Aufführung über das Verhältnis von Arbeiterschaft und Friedensbewegung, an deren Ausformung betriebliche Friedensinitiativen mitwirken sollen. Beide Projekte werden also nicht von einzelnen Autoren betextet. Wolfgang Lichtenstein versicherte aber, daß man für künftige Vorhaben bereits in Verbindung zu Autoren wie Max von der Grün und Günter Wallraff stehe.

Beim Gespräch über die immer noch von den Krisenbranchen Kohle und Stahl dominierte Wirtschaftsstruktur des Ruhrgebiets äußerten die Darsteller, Dramaturgen und Techniker vor allem Skepsis. Sie sehen die Perspektiven offenbar eher düster. Deutliche Zweifel wurden an optimistischen Äußerungen von Bundesarbeitsminister Blüm geäußert. „Es gibt doch nur noch Krisen-Managements. Wo bleibt der wirkliche Aufbau?“, hieß es zum Beispiel. Vermißt wurden von Politikern zu entwerfende Zukunftsaussichten und „Utopien“. Besonderes Interesse zeigte das Ensemble an den mutmaßlichen Auswirkungen einer 35-Stunden-Woehe sowie am Problem der allgemeinen und der Frauen-Arbeitslosigkeit.

Allen Krisenphänomenen zum Trotz, mögen sich die Theaterleute jedoch nicht gänzlich dem Pessimismus verschreiben. Wolfgang Lichtenstein: „Wir wollen die Probleme dieser Region nicht nur bierernst darstellen.“ Humorig lautete denn auch der Arbeitstitel eines weiteren Projekts: „Mutter Kohle-Vater Stahl“.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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