Ein Schauprozess, eine ungerechte Verurteilung, eine brutale Hinrichtung: Was vor 2000 Jahren einem gewissen Jesus, Zimmermannssohn aus Nazaret, angetan wurde, wiederholt sich heute an tausenden von Opfern von Terror und Gewalt. „Vox Luminis“, die „Stimme des Lichts“ haben wir alle nötig in düsteren Zeiten von Krieg, gesellschaftlicher Spaltung, global beschädigter Natur.
Der Karfreitag erinnert Christen an den Tod ihres Erlösers Jesus Christus. Wer dem Christentum nicht folgt, mag diesen Tag zur Besinnung und Mahnung an das Leid so vieler Menschen weltweit verstehen.
An die christliche Tradition knüpft das Karfreitagskonzert in der Essener Philharmonie an, wenn es zwei bewegende Werke kirchenmusikalischen Schaffens aus der Barockzeit zum Klingen bringt: Das seit 20 Jahren bestehende Ensemble „Vox Luminis“ widmet sich der zwei Generationen vor Johann Sebastian Bach entstandenen „Matthäus-Passion“, komponiert vom „Churfürstl. Brandenb.(urgischen) und Pr.(eußischen) Capellmeister“ am Königsberger Hof, Johann Sebastiani, 1672 veröffentlicht und dem Markgrafen Friedrich Wilhelm, dem Dienstherrn des Tonsetzers gewidmet.
Als Neuheit führt Sebastiani in diese Passion erstmals Choräle ein, einige davon auf ältere fünfstimmige Sätze seines Königsberger Vorgängers Johann Eccard („O Lamm Gottes unschuldig“), andere wohl selbst gesetzt. Sie werden nicht vom Chor, sondern einer leider im Programm nicht genannten Sopranistin mit dem fein lasierten Klang einer vibratolos „weißen“, aber mühelos tragenden Stimme vorgetragen. Sie gestaltet vor allem das abschließende „O Traurigkeit, o Herzeleid“ als eine bewegende Meditation über „Gott des Vaters einigs Kind“, das ins Grab gelegt wird.
Originell ist auch Sebastianis Idee, zur Begleitung ein Gambenconsort einzusetzen, das den rezitierenden Evangelisten mit polyphonem Spiel begleitet, ohne sich je in den Vordergrund zu drängen oder die Stimme zu verdecken. Die vier Viole da Gamba des vortrefflichen Ensembles „L’Achéron“ differenzieren den Klang auf einer gemeinsamen Basis ungemein farbig auf, lassen mit ihrem seidigen Ton keine äußerliche Brillanz aufkommen, sondern wirken diskret und verinnerlicht in ihrem Spiel.
„Vox Luminis“ ist wahrhaftig eine „Stimme des Lichts“. Unauffällig aus dem Ensemble der 14 Sängerinnen und Sänger leitet der Bassist Lionel Meunier den Chor, der mit seinen intonationsreinen, klar durchgestalteten Tutti eindrücklicher überzeugt als in Momenten, in denen die Grenzen der auf „alte“ Musik getrimmten Einzelstimmen doch deutlich hervortreten. Das gilt auch für die Solisten: Während Sebastian Myrus mit streng fokussiertem, von zwei Violinen begleitetem und dadurch wie von jenseitigem Licht umflortem Bass die Jesusworte ohne Pathos artikuliert, stößt der mit dezenter Dramatik erzählende Evangelist Jacob Lawrence mit seinem dunkel timbrierten Tenor schnell an Grenzen, wenn es gilt, technisch anspruchsvoll in die Höhe zu springen oder ein spannungsfreies Forte zu singen.
Die letzte halbe Stunde des Konzerts galt dem „Stabat Mater“ des Komponisten, katholischen Titularbischofs und Hannoveraner Hofkapellmeisters Agostino Steffani, wohl sein letztes Werk vor seinem Tod 1728. Für diese Meditation über die Schmerzen Mariens unter dem Kreuz nutzt der erfahrene Opernkomponist Steffani alle damals modernen Mittel musikalischen Ausdrucks und endet, vom Chor brillant durchgestaltet, mit kunstvoller Polyphonie, die in ihrer Perfektion wie ein Spiegel der paradiesischen Vollendung wirkt.
Das belgische Ensemble „Vox Luminis“ ist wieder zu hören am Freitag, 7. Juni, 19.30 Uhr, im Orchesterzentrum NRW in Dortmund, Brückstr. 47. Dann steht Henry Purcells Oper „The fairy queen“ in einer halbszenischen Produktion auf dem Programm. Info: www.klangvokal-dortmund.de