Essenzen von Liebe und Abschied – Charles Aznavour in der Essener Philharmonie

Von Bernd Berke

Essen. War es ein Abschied für immer? Man mag es kaum glauben.

Der große französische Chansonnier Charles Aznavour hat am Montag Abend in der ausverkauften Essener Philharmonie eine kurze Deutschland-Toumee triumphal beendet. Angeblich soll es sein letzter Bühnenauftritt in unseren Breiten gewesen sein. Doch schon mehrmals hat er auf ähnliche Weise Adieu gesagt. Warten wir’s ab.

Schwarzer Anzug, schwarzes Hemd. So existenzialistisch erwartet man es von ihm. Dann seine unvergleichliche Stimme, scharf umrissen und doch zartfühlend. Ganz wie früher. Der Mann soll 81 Jahre alt sein? Auch seine Bewegungen lassen beim zweistündigen Konzert keinerlei Müdigkeit erkennen. Er kann es sich leisten, mit vermeintlicher Vergesslichkeit („Wie hieß noch mal diese Zeile?“) zu kokettieren.

In seinen Chansons (rund 1000 hat er inzwischen verfasst) sind Essenzen von Liebesüberschwang, schmerzlichen Abschieden und vergänglicher Jugend auf höchst kultivierte Weise aufgehoben. Untröstliche Momente und die Feier einer wunderbaren Lebensfülle sind hier keine Widersprüche. Vor allem aber: Die Liebe kann niemals lächerlich sein …

Man traut ihm durchaus zu, dass er selbst noch erotisch entflammt. Wenn er auftritt, fühlt man jedenfalls ein aufregend charmantes Paris, seine Boulevards und Bistros immer mit. Klischees also, doch in Vollendung stilisiert.

Natürlich singt er auch einige seiner größten Erfolge: „Les comédiens“, „Sa jeunesse“, „II faut savoir“, „Tu te laisse aller“ (Du lässt dich geh’n), „She“ und „La bohème“. Er hat keine Scheu vor Pathos, vor den ganz großen Gefühlen, beinahe schon im Kitsch-Bezirk. Auch solche Grenzgänge kann sich einer wie Aznavour erlauben. Bei wem sonst erstrahlt selbst die Melancholie so herrlich und würdevoll?

Mit äußerst sparsamen, doch ungemein wirkungsvollen Gesten lenkt Aznavour den rauschenden Beifall des Publikums – und die Band, die zwischen Jazz, Swing, Chanson und gehobenem Schlager so manche Nuancen beherrscht. Zum musikalischen Begleitpersonal zählt auch seine Tochter Katia, mit der er im Duett „Je voyage“ vorträgt. Die junge Frau kann auf jene entzückend französische Weise naiv klingen – wie einst France Gall oder die frühe Françoise Hardy. Hach!

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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