„Tatort“-Buch: Mord an der Sprache

„Tatort“-Städte sehen im Fernsehen ganz anders aus als in der Wirklichkeit. Nun ja, man hat es sich wohl gedacht, dass uns bei der Gelegenheit keine 1:1-Realität dargeboten wird.

Doch mehr noch: Komplette Szenenfolgen werden gleich ganz woanders gedreht. So entstehen etwa Münsteraner „Tatorte“ der Logistik wegen (WDR-Zentrale mit allen Schikanen am Ort) weitgehend in Köln. Auch befinden sich alle (!) Tatort-Kommissariate des SWR in einem einzigen Gebäude zu Baden-Baden. Okay, das sind auch keine Sensationen, aber es klingt schon interessanter, weil konkreter. Doch die Verfasser eines neuen Sachbuchs mögen’s auf weite Strecken lieber wolkig.

In insgesamt 17 Beiträgen erscheint die populärste deutsche Krimireihe zumeist als schieres Konstrukt regionaler Zuschreibungen, die oft genug in Klischees abgleiten. Der Untertitel des Bandes lautet „Mediale Topographien eines Fernsehklassikers“. Damit deutet sich bereits das Elend eines „hochwissenschaftlich“ sich gebenden Jargons an, der das Gros der Beiträge infiziert hat, als hätte man sich zuvor ganz bewusst auf sprachliche Hässlichkeit geeinigt. Am Ende ist man als Leser reichlich verstimmt, denn man hat viel Zeit darauf verwendet, relativ überschaubare Erkenntnisse in verbal fürchterlich aufgeblasener Form zu goutieren. Hier müssen wir einfach ein paar beispielhafte Zitate anheften:

„Die verräumlichenden Filmerzählungen der Tatort-Reihe ordnen ihre lokalisierenden Elemente nämlich sowohl in topologisch relationierenden als auch in topographisch repräsentierenden Operationen an.“

Schon ganz gut, nicht wahr? Aber genießen Sie weiter, schlagen Sie zum Exempel Seite 56 auf. Sie werden es nicht glauben, aber Einstellungen zur Welt, die

„…aus sozialphänomenologischer Perspektive als ‚Doxa‘ bezeichnet worden sind, können allerdings zu ,Orthodoxien‘ werden, wenn ihre präreflexive Wirksamkeit infrage gestellt wird.“

Wie? Es reicht Ihnen schon? Nichts da! Hiergeblieben! Hergehört:

„Eher scheint es sich um einen filmischen Beitrag zur diskursiven Herstellung und räumlichen Verortung eines internen Anderen zu handeln, das erst in seiner referenziellen Alterität zum möglichen Objekt wird.“

Halt! Wozu und für wen wird hier eigentlich geforscht? Es beschleicht einen der Verdacht: Nur noch für die eigene (Uni)-Karriere, indem man ein lachhaftes verbales Imponiergehabe auf die Spitze treibt.

Ein so breitenwirksames Thema wie der „Tatort“ ließe sich wahrlich in anderem Stile behandeln, ohne dass man in der Denkschärfe nachlassen müsste. Hier aber will man offenkundig unter sich bleiben. Wohl deshalb wird der einfache Umstand, dass etwas vorher geschehen ist, in diesem Buch fast durchweg mit dem Verrenkungs-Wort „vorgängig“ umschrieben. Gern verwenden diverse Autoren auch Bescheidwisser-Vokabular wie „establishing shots“ und „televisuell“. Dass Handlungsorte der Krimis gelegentlich auf Stadtrundfahrten besucht werden, wird hier mit der Wortschöpfung „Thanatourismus“ belegt.

Selbst über die simple Tatsache, dass mit den „Tatort“-Folgen nach und nach eine (föderale) Krimi-Landkarte Deutschlands entsteht, kann man verquast und ungelenk schreiben, indem man drei „Hauptrichtungen der Topographie“ aufruft und gravitätisch feststellt:

„Die erste geht davon aus, dass den in der Karte manifest werdenden Bemühungen der Kartographen eine äußere Welt vorausgegangen sein muss, die durch eine Karte verstehend erfasst werden sollte…“

Donnerwetter!

Zur Selbstparodie gerinnt das Ganze, wenn die Verfasser eine Übersetzung gleich mitliefern: Wir lernen, dass ein Odenthal-Tatort

„…den Konstruktcharakter der fiktionalen Welt hervorhebt und so mit dem selbstreferenziellen Potenzial des Genres spielt. Anders gesagt: Solche Tatort-Folgen verweisen auf sich selbst.“ Stimmt. So hätte man’s auch sagen können.

Unfreiwillig komisch wirkt auch das Aufeinanderprallen verschiedener Sprachebenen in der Passage, die Einzeltitel von Duisburger Schimanski-Tatorten nennt, auch „solche, die assoziativ instantan mit dem Ruhrgebiet verbunden werden wie ,Der Pott‘ oder ,Schicht im Schacht‘.“

Ich fürchte, „instantan“ wird jetzt sogleich eines meiner Lieblingsworte. Und dies ist eine meiner Lieblingsstellen:

„…dass dieser Hamburger Tatort mit der hybriden, liminalen Figur des Batu neue, hybride Räume erschließt, die mit seiner auf Differenz gegründeten Figur korrelieren.“

Nein, das ist überhaupt kein Deutsch mehr. Auch ist es keine Ableitung aus dem Griechischen oder Lateinischen. Das ist Mord an jeglicher Sprache.

Julika Griem/Sebastian Scholz (Hrsg.): „Tatort Stadt“ – Mediale Topographien eines Fernsehklassikers. Campus Verlag. 329 Seiten. 34,90 Euro.

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 23 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Buchmarkt & Lesen, Medien, Sprache veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

1 Antwort zu „Tatort“-Buch: Mord an der Sprache

  1. Werner Häußner sagt:

    Die materialiter vorliegenden Diskursivelemente kreieren eine assumptive Propinquation an den Konjektionshorizont des Autors, dessen manifeste Fallibilität bei der konstruktionstheoretischen Reflexion der vorgängig dargestellten Theoreme demonstrativ die Intelliktibilität negiert.

    Wir können also auch noch !!!

Kommentare sind geschlossen.