Damit noch Spuren bleiben

Wer ist eine „Kultfigur“ von Paderborn? Nein, jetzt mal nichts Katholisches. Eher so auf dem Felde der schönen Künste.

Museumsleiterin Andrea Wandschneider sagt mit Nachdruck, Willy Lucas habe allemal das Zeug dazu. Sie und Markus Runte (Museum für Stadtgeschichte) haben mit großem Fleiß dafür gesorgt, dass dieser Künstler nun gleich an drei Ausstellungsorten (siehe Anhang) der Stadt gewürdigt wird, und zwar nahezu für ein halbes Jahr. Zur Eröffnung erklang eine eigens komponierte musikalische Uraufführung, Torsten Brandes’ „Fünf Lieder zu Bildern von Willy Lucas“.

Anlass solcher Anstrengungen, die sicherlich auch dem Stadtmarketing aufhelfen sollen, ist der 125. Geburtstag des Malers, der am 20. Februar 1884 im nahen Bad Driburg zur Welt gekommen ist und den außerhalb zweier eng umgrenzter Regionen heute kaum jemand kennt. Selbst dort hat wohl nur ein spezieller Kreis von Interessenten seinen Namen je gehört.

Die eine dieser beiden Gegenden liegt just rings um Paderborn, wo Lucas Kindheit und Jugend verbracht hat, die andere ist Düsseldorf, wo er von 1904 bis 1906 an der Kunstakademie studiert und etliche Stadtansichten geschaffen hat; wie denn überhaupt Stadtbilder sein bevorzugtes Genre gewesen sind.

Im Zuge des dreifachen Paderborner Ausstellungsprojektes ist auch ein Werkverzeichnis entstanden. Rund 600 Bilder werden als Gesamtwerk veranschlagt, von denen etwa 470 dingfest zu machen sind. Die allermeisten finden sich in Privatsammlungen verstreut, so gut wie nichts ist in Museumsbesitz – mit Ausnahme von Paderborn sowie Einzelstücken in Büren (Wewelsburg) und im Düsseldorfer Stadtmuseum. Dieser Umstand spricht nicht gerade für eine immense Wertschätzung auf dem Kunstmarkt. Immerhin: Im Angebot gewisser Galerien kursieren teils dummdreiste, teils halbwegs geschickte Fälschungen. Sollte dies ein indirekter Hinweis auf schmerzlich vermisste Mangelware sein?

Was aber macht Willy Lucas zur Kultfigur? Seine regionale Verwurzelung? Auch das kann es eigentlich nicht sein, denn er hat ein rast- und ruheloses Leben geführt – mit allein sieben Umzügen innerhalb von Düsseldorf, mit etlichen Reisen nach Holland, Italien, Schweden und Frankreich (erster von vielen Paris-Aufenthalten anno 1906) sowie schließlich Vagabunden-Jahren im süddeutschen Raum.

Lucas war auch kein Mann des „Betriebs“, sondern ein Eigenbrötler. Es gibt keine nennenswerte Briefe oder Tagebuchaufzeichnungen, auch Künstlerfreundschaften sind nicht bezeugt. Überdies kümmerte sich niemand sonderlich um seinen Nachlass. Hie und da haben eventuell Werke anderer Maler auf ihn gewirkt. So könnte man beispielsweise meinen, dass seine Schneebilder oder die Heuschober-Darstellungen von Monet (Originale derzeit u. a. in Wuppertal) beeinflusst seien. Doch die Unterschiede sind eklatant.

So beschleicht einen angesichts anheimelnder Ortsansichten oder dito Landschaften der Verdacht, Lucas habe zwischen naturalistischen Impulsen und (arg verspätetem) Impressionismus vielleicht keine Kraft zur eigen- oder widerständigen Idee aufgebracht, sondern sei ein (allerdings sehr redlicher, ehrbarer, grundsolider) Handwerker der Kunst gewesen. Leicht ist man in derlei Fällen mit dem Wort „provinziell“ bei der Hand. Es wäre allerdings infam.

Da ist wahrscheinlich doch noch mehr, etwas schwer Greifbares, Auratisches. Haben seine besten Schöpfungen nicht doch eine sehr persönliche Ausstrahlung, sozusagen einen stillen Glanz von Innen? Hat er denn nicht die spätromantische Stimmungsmalerei seines Frühwerks überwunden und seine Bildsprache von anekdotischen und geschwätzig-narrativen Elementen befreit? Kann man bei ihm nicht gar den einen oder anderen Vorschein der Neuen Sachlichkeit erblicken?

Sich selbst hat er in seinen Bildern entschieden zurückgenommen. Überhaupt erscheint die Menschengestalt bei ihm nur andeutungsweise. Jeder bloßen „Feinmalerei“ und erst recht jedem ichstarken Auftrumpfen war er sichtlich abhold. Soll man melancholisch werden angesichts eines derart spurenarm versickerten Künstlerlebens? Doch was soll man dann erst übers Dasein der unendlich Vielen, der beschwiegenen Mehrheit sagen?

Willy Lucas ist jung gestorben, im Frühjahr 1918 in Garmisch, da war er gerade einmal 34 Jahre alt. Mit dem Ersten Weltkrieg hatte sein zeitiger Tod nichts zu tun. Der Militaria-Liebhaber hätte (wie so viele verblendete Künstler jener Zeit) bebend gern als Soldat in die Schlachten ziehen wollen, doch ließ man ihn nicht. Der kinderlose, 1916 von einer betuchten Kölnerin geschiedene Außenseiter litt bereits seit 1911 an Tuberkulose, später wohl auch an Kehlkopfkrebs. Eines der letzten Bilder flammt dermaßen unirdisch auf, dass man es als visonär erschauernden Blick ins Jenseits deuten könnte.

Ins profane Leben holt einen dann vielleicht der (leckere) „Willy Lucas Apfelkuchen“ zurück, den eine örtliche Bäckerei quasi als offizielle Spezerei zur Ausstellung feilbietet. Hat Lucas denn Apfelkuchen besonders gemocht? Die schlichte Wahrheit: Man weiß es nicht. Hätte aber gut sein können…

Willy Lucas – Zum 125. Geburtstag. Bis 5. April 2010. Geöffnet Di-So 10-18 Uhr.

Die drei Ausstellungshäuser in Paderborn:

Städtische Galerie, Am Abdinghof 11 (Schwerpunkt: Rheinische Motive)
Museum für Stadtgeschichte (Adam und Eva-Haus), Hathumarstraße7-9 (vor allem Bilder aus der Paderborner Region)
Städtische Galerie in der Reithalle / Schloss Neuhaus, Im Schlosspark 12 (Schwerpunkt: Reisen in Süddeutschland und Europa).

Internet: http://www.willy-lucas.de

Bild: Museumsleiterin Andrea Wandschneider erläutert Lucas-Bild (Foto: Bernd Berke)

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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