Neues unter der Sonne

Es gibt offenbar noch Neues unter der Sonne: In Wuppertal behaupteten die Museumsleute kürzlich, sie zeigten jetzt den allerersten deutschen Gesamtüberblick zum Werk des Impressionisten Claude Monet. Jetzt sagen die Kollegen in Bielefeld, es habe bislang noch keine vergleichbare Retrospektive zum deutschen Impressionismus gegeben. Ihre Ausstellung sei somit eine Art Premiere. Wer skeptisch ist, der beweise jeweils das Gegenteil.

Folgt man einer Bielefelder Ausgangs-These, so hat der deutsche Impressionismus mit den weltberühmten französischen Spielarten dieser Kunstrichtung nicht allzu viel gemein, sondern war ein eigener und eigensinniger Strang der Kunstgeschichte. Antriebe und Absichten waren demnach ebenso verschieden wie Stimmungswerte oder Farbpalette. Letztere haben nicht nur mit der (schwer greifbaren) „Mentalität“, sondern auch mit konkreten landschaftlichen Gegebenheiten zu tun. Deutscher Wald ist eben nicht so licht wie etwa Strände von Südfrankreich, ein Boulevard in Paris flirrt und brandet anders als eine Straße in Karlsruhe.

Apropos Stadtbilder: Eine Besonderheit sind Lesser Urys Ansichten des nächtlichen Berlin, auf denen sich Großstadtlichter in regennassen Straßen spiegeln. Sonst bringt man Impressionismus eher mit Tageshelligkeit in Verbindung. Ausgeprägter als im Nachbarland haben deutsche Impressionisten zudem Technik und Arbeitswelten dargestellt. Wilhelm II. befand prompt, Max Liebermann und Konsorten verfertigten üble „Rinnsteinkunst“. Mit solch bodenlosen Urteilen macht man sich für alle Zeiten lächerlich.

Der Zeitrahmen der Auswahl reicht von 1871 bis 1918, umfasst also die wilhelminische Kaiserzeit. Der hiesige Impressionismus war zwar keine Sache der Bohème wie in Frankreich, sondern im wesentlichen bürgerlich, aber er war alles andere als pompös oder staatstragend. Entgegen dem Heroismus, wie er damals offiziell erwünscht war und in den Akademien eingetrichtert wurde, griffen Impressionisten lieber aufs private Leben zurück. Schon dies war ein Zeichen von Abtrünnigkeit. Die Vorbilder waren nicht etwa hauptsächlich Frankreichs Impressionisten, sondern sie waren in der Freilichtmaler-Schule von Barbizon, unter den Naturalisten und bei den Niederländern zu finden.

Bielefeld präsentiert etwa 180 Werke von 35 Künstlern. Gerade einmal drei dieser Maler haben es als Impressionisten dauerhaft zu höheren Bekanntheits-Graden gebracht: Max Liebermann, Max Slevogt und Lovis Corinth. Einzelstücke von Christian Rohlfs oder Max Beckmann sind in diesem Kontext eher Randerscheinungen und betreffen allenfalls Nebenwege mit impressionistischen Anwandlungen. Meisterschaft haben sie dann bekanntlich auf anderen Gebieten erlangt. Wer sich für Kunst auch nur irgend erwärmt, kennt diese Namen sicherlich. Jenseits davon aber tut sich in Bielefeld fruchtbares Neuland der (Wieder)-Entdeckungen auf.

Wer hat schon einmal diese Künstlernamen gehört: Gotthard Kuehl, Christian Landenberger, Robert Breyer, Hermann Pleuer, Lesser Ury, Maria Slavona (einzige Frau), Robert Sterl, Albert Weisgerber, Paul Baum, Otto Reiniger – e tutti quanti? Da müssen selbst manche Leute vom Fach passen. Die Bielefelder haben denn auch etliche Bilder aus dem Dunkel der Depots ans Licht geholt. Es hat sich in vielen Fällen gelohnt. Selbst die etwas weniger gelungenen Gemälde konturieren und schattieren das Gesamtbild, lassen es facettenreicher erscheinen.

Ans innere Wesen der Kunst würde es rühren, könnte man ohne weiteres sagen, was etwa ein Liebermann oder Corinth den Zeitgenossen voraus haben. Warum sind gerade sie prominent geblieben? Nur eine Qualitäts-Frage oder auch eine nach (un)glücklichen Umständen oder Fährnissen der Rezeption? Nun, beispielsweise im Falle des Lübeckers Gotthard Kuehl fragt man sich eher, weshalb er so an den Rand der Kunstgeschichtsschreibung geraten konnte…

Der deutsche Impressionismus gedieh vor allem in den Regionen. Man sieht hier herausragende Beispiele u. a. aus Hamburg, Stuttgart, Karlsruhe, München, Dresden. Die Bielefelder Ausstellung (kuratiert von Jutta Hülsewig-Johnen und Thomas Kellein) ist nach Motiven und Lokalitäten geordnet, Kapitelüberschriften lauten beispielsweise „Im Haus“, „In der Stadt“, „Im Garten“, „Am Wasser“ und „Auf dem Land“. Klingt nach geruhsamen und erholsamen Ausflügen, nach tiefem Durchatmen in Kunstgefilden.

Doch es ist mehr. Im Verlauf des anregenden Rundgangs wird man gewahr, wie die Impressionisten Breschen für die kommenden Stile der Moderne geschlagen haben. In Lovis Corinths Bildnis einer Geigerin ist schon die expressionistische Auffassung von Form und Farbe zu ahnen, auch Abstraktion bricht sich schon Bahn: Überaus frei hat Corinth den Rock der jungen Frau dargestellt, während die sonstige Gestalt noch eher realistischen Gestaltungs-Mustern folgt. Wohl kein Zufall, dass gerade das musikalische Thema die Farbphantasien dermaßen angeregt hat. Doch auch fauchende Technik drängt mit Macht zur entgrenzten Moderne: Hermann Pleuers „Dampf auslassende Lokomotive“ besteht fast ausschließlich aus einer gegenstandsfernen Wolke.

Die Themenfülle reicht ohnehin weit über flirrende Naturidyllen hinaus. Gar manches wird nunmehr als „bildwürdig“ erachtet, so auch Biergärten, Kühe (für diese Tiere gab es gleich mehrere Spezialisten), die Knochenarbeit im Steinbruch (die der Dresdner Robert Sterl allerdings tendenziell verklärte), Eisenbahnen, Häfen und ein für jene prüden Zeiten recht freizügiges Strandleben. Wer hätte den Impressionisten solche Vielfalt zugetraut?

„Der deutsche Impressionismus“. Kunsthalle Bielefeld, Artur-Ladebeck-Straße 5. Bis 28. Februar 2010. Geöffnet Di, Do, Fr, So 11-18, Mi 11-21, Sa 10-18 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 7 Euro, Audioguide 3 Euro. Katalog im Museum 24,95 Euro, im Buchhandel 29,95 Euro. Internet: http://www.kunsthalle-bielefeld.de

Bild: Cover des Ausstellungskatalogs (DuMont Verlag/Kunsthalle Bielefeld) mit Max Slevogts Gemälde „Dame am Meer“ (1908), Kurpfälzisches Museum der Stadt Heidelberg.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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