Zeitgeist auf der Bühne: „Kinder der Revolution“ in Bochum

logoSie hätten ganz einfach Büchner wählen können. Dantons Tod – auch ein Revolutionsdrama. Aber die Studierenden der Folkwang Universität der Künste wollten für ihren Abend an den Bochumer Kammerspielen selbst ein Stück Revolution schreiben.

Gemeinsam mit dem vielfach ausgezeichneten Regisseur Nuran David Calis suchten sie einen eigenen Zugang dazu, was in der Welt passiert, fanden Kontakt zu jungen Menschen aus neun Ländern und versuchten, ihnen via E-Mail, Skype oder persönliche Treffen nahe genug zu kommen, um sie auf der Bühne zu verkörpern.

Die „Geschichten der Menschen ohne die Medien“ wollten sie, rufen sie im Chor, und kündigen an: „Was jetzt kommt, sind keine Nachrichten, keine Ideologien, keine Theorien.“ Sondern? Ja, was ist „Kinder der Revolution“ geworden? Ein aufwändiges, spannendes Theater-Experiment, das auch von der Schwierigkeit handelt, ein Theater-Experiment auf die Bühne zu bringen.

Denn es ist ein sehr schmaler Grat zwischen einem Theaterexperiment mit authentischem Material und sozialkritischem Betroffenheitstheater. Regisseur Calis hat genau damit Erfahrung, man denke an seine  „Homestories – Geschichten aus der Heimat“ mit Jugendlichen aus Essen-Katernberg am Schauspiel Essen.  Die Schauspielschüler in Bochum versuchen die Balance zu meistern, indem sie immer wieder Brüche einbauen. Niemandem wird gestattet, zu tief in das Schicksal seiner Figur einzutauchen – die Kollegen holen einander dann spielerisch, ironisch oder auch unter Einsatz einer Wasserdusche in die Theater-Gegenwart zurück. Wie sehr lässt man sich auf „seine“ Figur ein, wie nahe soll man ihr kommen – das sind für Schauspieler existenzielle Fragen, auf die die jungen Akteure in diesem Stück ebenfalls Antworten suchen.

Phillip Henry Brehl etwa erzählt von Mohamed genannt „Bibi“, dem Tunesier, der sich aus Perspektivlosigkeit selbst anzündete und damit die arabische Revolution entfachte. Maximilian Schmidt schrieb sich mit der New Yorker Occupy-Aktivistin Cecilie, deren persönliche Krise ähnliche Dimensionen hat wie die Banken-Krise. Sandra Schreiber bringt uns Julia aus Spanien nahe, die durch die al-Qaida-Anschläge in Madrid politisiert wurde, und Mirja Fajfer spielt einen jungen Palästinenser, der noch nie etwas anderes als den Gaza-Streifen sah. Auf der Bühne aus grauen Kuben verwandeln sich die Akteure nie vollständig in ihre „Kontakte“, sie deuten an, wechseln zwischen Erzählen und Spielen.

Es gibt aber auch Geschichten des Scheiterns am selbst gesetzten Anspruch: Raphael Dwinger fand keinen Draht nach Russland, und Leander Gerdes suchte in London-Tottenham erwartbar ergebnislos nach Beteiligten an den Riots. Doch auch diese Geschichten sind spannend erzählt und bildstark inszeniert.

Insgesamt hatte der Abend etwas zu viele Ausrufezeichen, zu viele in die Luft gereckte Arme und Fäuste, letztlich auch zu viele Worte. Der Erkenntnisgewinn bleibt mager, viele bunte Puzzle-Teilchen ergeben zwar Motive, aber noch kein Bild. So ist das vermutlich, wenn man echte Menschen und Krisen auf der Bühne behandelt. Trotzdem: Ein gelungener Ansatz und ein sehenswertes Experiment.

Nähere Informationen: http://www.schauspielhausbochum.de/de_DE/calendar/detail/11470298

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(Der Text erschien zuerst im Westfälischen Anzeiger, Hamm)

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Über Katrin Pinetzki

Kaffeejournalistin, Kulturtante und umgekehrt. Arbeitet als Pressereferentin für Kultur in der Pressestelle der Stadt Dortmund.
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