„Ein junger Mann mit Schmerzen zu sein“ – Arno Geigers „Selbstporträt mit Flusspferd“


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Julian ist Student der Veterinärmedizin, Eigentlich würde er gerne erwachsen werden, aber sonderlich Kluges ist ihm dazu noch nicht eingefallen. Karate vielleicht, das verleiht Kontrolle. Aber sonst?

Einstweilen suhlt sich Julian in Selbstmitleid, denn er durchlebt gerade seine erste Trennung. Außerdem ist er jung und braucht Geld. Unter anderem, um Schulden beim Vater der Verflossenen auszulösen für den Mietzins, den dieser im Nachgang für die bei seiner Tochter verbrachten Nächte erhebt.

Also nimmt der gute Julian einen Ferienjob an und kümmert sich bei einem verschrobenen Professor um ein Zwergflusspferd. Das wenig possierliche, aber Julian schnell an sein gequältes Herz wachsende Tier frisst, gähnt, taucht, schläft, stinkt vor sich hin und bestimmt so den Rhythmus von Julians Sommer. Da bleibt genug Zeit, um sich nebenbei mehr oder weniger aussichtslos in Aiko, die Tochter des Professors, zu verlieben und beunruhigt die Katastrophenmeldungen in den Nachrichten zu verfolgen. Theoretisch bliebe auch genug Zeit, um seinen Platz in der Welt zu finden, aber ach. Ach.

Soweit das doch recht dürftige Handlungsgerüst von Arno Geigers neuem Roman „Selbstporträt mit Flusspferd“. Willkommen im beliebtesten Genre für larmoyantes Selbstmitleid: dem Coming-of-age-Roman. Fast will es scheinen, als hätte dieses Genre dem Oeuvre des gefeierten Schriftstellers Geiger noch gefehlt, so spürbar ist das Werk von dem Willen getragen, sich um jeden Preis auch damit in die Literaturgeschichte einzureihen. Bedauerlich kommt beim Lesen recht schnell der Punkt, an dem man sich fragt, ob er mit diesem Willen nicht deutlich übers Ziel hinausgeschossen ist.

Der österreichische Schriftsteller Arno Geiger ist für seine vorherigen Werke vielfach ausgezeichnet worden, 2005 erhielt er gar die hohen Weihen des Deutschen Buchpreises für „Es geht uns gut“. Alltagshelden und ihr mal mehr, mal weniger spannendes Leben sind sein bevorzugtes Sujet. War es diesmal sein Ziel, das Porträt eines Langeweilers zu schreiben?

Bis knapp zur Hälfte liest es sich noch ganz gut, man weiß zwar nicht so ganz, warum man das jetzt unbedingt lesen sollte, aber man bleibt dran in der Hoffnung, man werde schon verstehen, worauf es hinausläuft. Nur leider wartet man vergebens. Irgendwann weiß auch der begriffstutzigste Leser, dass Julian sich leid tut und warum. Hingegen wird er nicht wissen und auch nicht erfahren, warum es so schwer ist, sich aus dem Lamento zu befreien. Dabei graust es Julian „vor einer Zukunft, in der er zurückblickt auf Tatenlosigkeit“, doch er findet den Weg an sich selbst vorbei nicht. Da hilft auch die gewünschte Beziehung zu Aiko nicht. Stereotypen wiederholen sich und sonst nichts.

Julians Ganztagsbeschäftigung ist am Anfang und am Ende dieselbe: „Ein junger Mann mit Schmerzen zu sein.“ Sein Ego kann er nur im Vergleich mit anderen bemessen, und das fällt nur in den seltensten Fällen zu seinen Gunsten aus. Es bedarf schon eines zerschlissenen Bademantels, in dem seine Mitbewohnerin durch die Küche schlurft, damit er sich erhabener fühlen kann. Weltfremdheit muss man sich leisten können und Julian kann es ganz offensichtlich nicht. Im Gegensatz zum Flusspferd haltenden Professor, dessen Figur ein gewisses Potential hat, aber um dessen Selbstporträt geht es hier nicht.

Die Idee, das Flusspferd zum Spiegelbild der eigenen Befindlichkeiten zu machen, trifft es da ganz gut. Denn das Flusspferd ist in erster Linie nur eines: lethargisch (und wenn der gute Julian noch so sehr die „Schönheit dieses rundlichen, schwarzgrünen Geisterwesens“ verklärt. ) Natürlich verleiht das Tier eine gewisse exotische Komponente, doch letzten Endes ist auch mit Flusspferd Julians Alltag nicht einmal surreal, sondern einfach nur banal. Diese Banalität durchdringt letzthin alles, auch Geigers schönen flüssigen Erzählstil. Lichtblicke sind die sich gegen die allgegenwärtige Lethargie wehrenden Nebenfiguren, angefangen beim bereits erwähnten Professor über seine einen trotzigen Bezug zur Gegenwart lebende Tochter bis zum pragmatischen Freund Tibor, der findet, Verzicht eh nichts bringt, weil „der Kuchen so oder so aufgefressen wird“.

Richtig unangenehm wird das Buch an den Stellen, an denen Julian das Elend aus den Nachrichten für seine persönliche Betroffenheits-Profilierung missbraucht. Natürlich schreckt ihn das Weltgeschehen, aber es reicht ihm, einfach alles nur schrecklich zu finden und zu verurteilen, um zu einem besseren Gefühl seiner selbst zu finden. Das Fehlen von politischem Bewusstsein ist zum einen erschreckend, zum anderen wohl typisch für unsere Zeit, in der jeder auf eine schreckliche Nachricht erstmal damit reagiert, sich selbst in eine gewünschte Position zu bringen und diese zu verbreiten. Auch an diesen Stellen bleiben in Summe nur epische Selbst-Bespiegelungen und handelsüblicher Narzissmus.

Arno Geiger: „Selbstporträt mit Flusspferd“. Roman. Hanser Verlag, 288 Seiten, €19,90.

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