Prächtige Schau im Kunstpalast: Hinter dem Vorhang offenbart sich das Geheimnis

Er hat’s. Dieses Gespür für das Publikum. Beat Wismer, der im nächsten Jahr – leider, leider – scheidende Generaldirektor des Düsseldorfer Museums Kunstpalast, möchte nicht nur in der Fachwelt reüssieren. Der gewitzte Schweizer will, dass alle hinsehen.

Das wird ihm, nach dem grandiosen Tschingderassabum der Tinguely-Maschinen, mit seiner letzten selbst kuratierten Schau wieder gelingen. „Hinter dem Vorhang“ präsentieren Wismer und seine Kollegin Claudia Blümle rund 200 Werke, die mit Verhüllung und Enthüllung zu tun haben – von der Renaissance bis heute. Um es unverhüllt zu sagen: Diese Ausstellung ist eine Pracht, und sie inspiriert den Betrachter auch ohne große Erklärungen.

Tizian: "Bildnis des Filippo Archinto" (© Philadelphia Museum of Art: John G. Johnson Collection - Foto: Philadelphia Museum of Art)

Tizian: „Bildnis des Filippo Archinto“ (© Philadelphia Museum of Art: John G. Johnson Collection – Foto: Philadelphia Museum of Art)

Dabei gibt es genug der Worte. Der raffiniert gestaltete Katalog vereint gelehrte Texte von zehn international renommierten Kunsthistorikern, aber – pardon! – die muss man nicht lesen, um gebannt zu sein von der Idee dieses Projekts. „Wir wollen alle hinter den Vorhang gucken“, bemerkt Direktor Wismer zu Recht. Und in der Tat geht es ja beim Verhängen von Räumen, Menschen und Dingen einerseits um das Kaschieren, andererseits aber auch um die Möglichkeit der Offenbarung. Vorhänge sind keine Mauern. Sie lassen sich durch einen Handgriff beiseite schieben und steigern von jeher die Spannung auf den Bühnen der Welt.

Verschleierter Erzbischof

Manchmal sind sie auch durchsichtig wie die unglaublich zart gemalte Gardine, womit Tiziano Vecellio, genannt Tizian, anno 1558 das Porträt des Kardinals Filippo Archinto zur Hälfte verdeckte. Mit Delikatesse machte der venezianische Meister das weißbärtige Antlitz des Kirchenfürsten hinter dem schleierartigen Stoff sichtbar. Der Vorhang hatte eine symbolische Bedeutung, weil der Kardinal zwar zum Erzbischof von Mailand ernannt wurde, aber das Amt wegen politischer Querelen nie ausüben konnte. Beat Wismer entdeckte das geheimnisvolle Bildnis vor Jahren im Philadelphia Museum of Art. Inzwischen hat es sicher jeder Düsseldorfer gesehen – auf den Plakaten zur Ausstellung. Auf ebenso subtile wie zielsichere Art wird da die Neugier geweckt.

Arnold Böcklin: "Trauer der Maria Magdalena an der Leiche Christi", 1867 (© Kunstmuseum Basel / Martin P. Bühler)

Arnold Böcklin: „Trauer der Maria Magdalena an der Leiche Christi“, 1867 (© Kunstmuseum Basel / Martin P. Bühler)

Der Vorhang als malerisches Sujet war keineswegs neu in Tizians Zeit. Schon im Hochmittelalter wiesen die Maler der Christenheit damit auf das göttliche Geheimnis hin, auf die Trennung zwischen Himmel und Erde, die letztendlich überwunden werden kann. Die Renaissance war ganz verliebt in diesen Gedanken. Sowohl Hans Holbein als auch Lucas Cranach der Ältere ließen um 1520 hinter ihren Madonnen die Englein schweben und einen grünen Vorhang halten, der die Mutter Gottes würdevoll umrahmt.

Göttliche Schöne beim Bade

Ein Jahrhundert später, im Barock, war es nicht nur der Glauben, sondern auch die Erotik, die mit drapierten Stoffen in Szene gesetzt wurde. Bei Anthonis van Dyck greift „Jupiter als Satyr bei Antiope“ lüstern nach der roten Decke, die den Schoß der Schlafenden verhüllt. Rubens betont die schwellenden Formen seiner Diana beim Bade um 1635-40 mit Tüchern, die von Dienerinnen gereicht werden. Der Blick der Göttin trifft den Betrachter, als habe sie ihn ertappt: ein delikater Moment.

Das 17. und 18. Jahrhundert, langes Zeitalter der Sinnenfreude, kokettierte auf vielfache Weise mit dem Vorhang. Etliche Barockmeister werteten ihre Selbstbildnisse mit Vorhängen auf und zeigten dabei nebenher ihre Fähigkeiten, einen perfekten Faltenwurf zu schaffen. Man perfektionierte das Spiel mit dem Vorhang – nicht nur malerisch. Kunstsammler pflegten ihre besten Bilder hinter echten Stoffen zu verstecken, um sie im gegebenen Augenblick effektvoll zu enthüllen.

Eine ungeheure Bilderfülle aus der Geschichte der Kunst hat die Ausstellung zu bieten. So manche Schönheit kommt da zum Vorschein wie Franz von Stucks „Susanna im Bade“ (1904), die dem Betrachter ihren herrlichen Leib von hinten zeigt, während sie sich mit einem hochgehaltenen Tuch vor den Blicken der Ältesten schützt. Im Laufe des 20. Jahrhunderts verschwinden derlei Kompositionen. Die Tabus fallen, das Verborgene verliert seinen Reiz. „In der Moderne wird die Verhüllung selbst zum Thema“, sagt Co-Kuratorin Claudia Blümle.

Gerhard Richter: "Schwestern", 1967 (© Kunstmuseum Bonn, Dauerleihgabe Jürgen Hall)

Gerhard Richter: „Schwestern“, 1967 (© Kunstmuseum Bonn, Dauerleihgabe Jürgen Hall)

Das kann man wörtlich nehmen wie bei dem Düsseldorfer Kunstphilosophen Hans-Peter Feldmann, der einen „Vorhang Rot“ an einer Messingstange aufhängt – und das zum Objekt erklärt. Evelina Cajacob platziert einen weißen Vorhang aus gewachsten Papierstreifen mitten in den Saal. Wolfgang Kliege ließ aus rotweißen Stoffen die leere „Skulptur eines Zimmers“ nähen. Wie bitte? Verbirgt sich etwa das blanke Nichts hinter der Fassade der Gegenwart, die doch so stolz ist auf ihre brisanten Enthüllungen?

Rätsel für die Gegenwart

Ehe wir darüber in Verunsicherung geraten, tröstet uns eine monumentale „Vorhang“-Szene des neuen deutschen Romantikers unter der Surrealisten, Neo Rauch. In einem traumverlorenen Theater, das auch ein Museum ist, treiben da einige Krieger und Könige, Soldaten und Denker, was wir nicht verstehen müssen. Aber wir dürfen uns nach Herzenslust in das Bild hinein fantasieren. Denn es werden auch in der modernen Malerei durchaus Geschichten erzählt und Rätsel aufgegeben.

Christo: "Wrapped Beetle", 1963 (Objekt 2014). (© Christo 2014 - Im Besitz des Künstlers, Foto Wolfgang Volz)

Christo: „Wrapped Beetle“, 1963 (Objekt 2014). (© Christo 2014 – Objekt im Besitz des Künstlers, Foto Wolfgang Volz)

Und wir haben natürlich Christo, den großen Zauberer der Verhüllungskunst. 1963, als er noch nicht ganze Landschaften und Seen mit seinen Stoffen markierte, packte er vor der Düsseldorfer Galerie Schmela einen VW Käfer in gelben Stoff ein.

Der „Wrapped Beetle“ wurde, im Gegensatz zum Reichstag 1995, nie wieder ausgepackt und befindet sich noch heute, gut verschnürt, im Besitz des Künstlers. Christo wurde jetzt nicht nur zum Leihgeber der Ausstellung, er kommt auch wieder höchstpersönlich nach Düsseldorf und hält am Abend des 3. November einen enthüllenden Vortrag, der leider bereits ausverkauft ist. Aber auch ohne den Auftritt des Meisters sind die Verhüllungen im Kunstpalast eine Offenbarung. Vorhang auf!

„Hinter dem Vorhang: Verhüllung und Enthüllung seit der Renaissance – von Tizian bis Christo“. Bis 22. Januar 2017 im Museum Kunstpalast, Düsseldorf, Ehrenhof 4-5. Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Katalog (Hirmer Verlag) 39,90 Euro.

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