Die Spielzeit am Prinz Regent Theater in Bochum neigt sich dem Ende zu – jetzt, wo der Frühling sich noch kaum erahnen lässt. Das Besondere ist jedoch, dass es auch die Leitung betrifft. Kaum ein Freies Theaterhaus in Deutschland hat so viel Schlagzeilen produziert wie dieses. Romy Schmidt wird ihr Engagement beenden.
Das ist die Folge einer Serie von Streitigkeiten mit dem und innerhalb des betreibenden Vereins. Ihr Team und sie waren und sind erfolgreich. Die Stelle ist bereits ausgeschrieben und man kann gespannt sein, wie es dort weitergeht.
„Sisyphos“ (mit dem Zusatz: This is not Albert Camus) steht hier als Vorlage für eine Stückentwicklung, die in einer Performance landete. Die Kreation zeugt vom absurden Leben und der Kraft des freien Denkens als Show. Linus Ebner, Romy Schmidt und der Musiker Martin Widyanata haben sich zu dritt dieser Aufgabe gewidmet. Herausgekommen ist ein Stück heutiges Theater, wie es wohl nur in freier Form erzeugbar ist. Hier wird dem Publikum die Sinnfrage entgegengewirbelt.
Der antike Stoff ist bekannt: Sisyphos soll einen Felsblock auf ewig einen Berg hinaufwälzen, der, fast am Gipfel, jedes Mal wieder ins Tal rollt. Dieses Motiv ist als Sisyphosaufgabe ein geflügeltes Wort für eine ertraglose und dabei schwere Tätigkeit ohne absehbares Ende.
Wie vor dem Eingang zur Hölle
In einer grau-düsteren Landschaft (Bühne: Sandra Schuck) aus Felsbrocken, Großbuchstaben, einem Galgenstrick und einem Fragezeichen bewegt sich das Spiel mit Text und Körper. Die ersten Worte, die der Schauspieler Linus Ebner seiner Suada voransetzt: „Die Welt ist weit. Die weite Welt.“
Es folgen Szenen, die ebenso unerwartet wie unmittelbar auf uns zukommen, um verdaut zu werden. Zitate wie „Wir Menschen sollten so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle“ (Kafka). Das klingt nach Moralspritze, ist es aber nicht. Es ist physisches Theater im Hier und Jetzt, verbunden mit elektronischer Musik, die von Martin Widyanata live aus einem Felsenloch beigesteuert wird. Er ist körperbehindert (ohne Gliedmaßen) und beteiligt sich auch am Spiel – unspektakulär und dennoch unvergesslich, wie er von Ort zu Ort rollt. Ein elektrischer Rollstuhl wird von Ebner in einem Kabelsalat verheddert, eine Aufgabe, die er sich selber stellt, diesen Salat wieder zu entwirren.
„Ich kann nicht mehr“
Es geht um Surfleidenschaft und eine Spielzeugeisenbahn. Hin und wieder pufft Nebel aus einem Krater. Der speit Feuer und in einer Auslassung über „Passion“ kommt alles in englischer Sprache. Why not? Sein Spiel ist für das Publikum und er macht das (so sagt er im Schlussteil) eben genau deswegen, weil ihm Menschen zuhören. Er bleibt dabei fast unentwegt mit seinem Blick bei den Zuschauern. Er verausgabt sich absichtsvoll und ist aufmerksam wie eine konzentrierte Katze.
Man hat den Eindruck, alle Themen des Menschseins kämen hier aufs Tapet. Ein Ausflug in die Talkshow mit Markus Lanz, wo Sisyphos einer der Gäste ist, und die Bekenntnisse eines Pädophilen scheinen das Fass zum Überlaufen zu bringen. Er tanzt – mit seinem Begleiter auf den Schultern – durch die Lebenshölle und haucht den Buchstaben M, H und Y Leben sein.
Alles kaum vorstellbar? Man muss es sehen, um es zu befragen und bewundern zu können. Am Ende sagt der Darsteller: „Ich kann nicht mehr.“ Man könnte meinen, dies sei ernst gemeint. Das Leben lässt sich nicht so leicht bändigen und wir werden alle noch den Felsen hinaufrollen und dann wieder loslassen müssen. Irgendwann, irgendwo.
Dennoch überkommt den Betrachter und aufmerksamen Zuhörer nach zwei Stunden Ermüdung. Der Schluss will einfach nicht enden. Wie die Sisyphosaufgabe. Großer Applaus.
Infos: http://www.prinzregenttheater.de/sisyphos.html