Kindliche Wundertüte: Doppelabend des Künstlerkollektivs „1927“ an der Rheinoper

Das Kind aus „L’enfant et les sortilèges“ fliegt im Garten umher. (Foto: Hans Jörg Michel/Deutsche Oper am Rhein)

Ein kindliches Gemüt ist etwas Wunderbares: Alles ist immer neu, das Leben leicht und die Welt ein Spielzeug.

„Ravel war ein Kind“, heißt es denn auch im Programmheft zu seiner „Fantaisie lyrique“ namens „L’enfant et les sortilèges“ von 1925, die jetzt gemeinsam mit Strawinskys „Petruschka“ an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg Premiere hatte. Und weiter: „Das Besondere eines Genies besteht darin, sich die Kindheit, die mit klarem Blick alle Schatten des Lebens durchdingt, zu erhalten und zu verlängern.“

Und doch sind dieses Kind und sein „Zauberspuk“ zunächst keineswegs nett: Das Balg im Fatsuit (Kimberly Boettger-Soller/Double: Sara Blasco Gutiérrez) will seine Hausaufgaben nicht machen, erhält von der Mutter (Marta Márquez) Stubenarrest und aus Wut darüber schlägt es das Mobiliar kurz und klein und quält anschließend Tiere. „Ich bin böse und frei“ lautet die dazugehörige Textzeile; das Libretto stammt von der französischen Schriftstellerin Colette (1873-1954). Mitten in den Wirren des 1. Weltkriegs sandte sie erste Skizzen an den Komponisten, der zu dieser Zeit Lastwagenfahrer an der Front war und erst 1919 weiter daran arbeitete.

Zirkusartisten aus „Petruschka“. (Foto: Hans Jörg Michel/Deutsche Oper am Rhein)

In Szene gesetzt hat diesen ungemein poetischen Opernabend das Künstlerkollektiv „1927“, bestehend aus Suzanne Andrade, Esme Appleton und Paul Barritt, die das Publikum schon mit ihrer filmischen Inszenierung von Mozarts Zauberflöte begeisterten. Wie diese, ist auch der neue Doppelabend eine Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin, die von Barrie Kosky geleitet wird.

Ästhetischer Ausgangspunkt für die Inszenierungen von „1927“ ist die Stummfilmära: Doch ihre Animationen verschmelzen kongenial mit den Auftritten der Sänger und dem Stoff des Singspiels – handelt es sich um volllaufende Teetassen, in denen das böse Kind fast ertrinkt, oder eine sexy Libelle, die den ungezogenen Jungen ins Ohr piekt.

Als Zuschauer kann man sich gar nicht sattsehen an der schnellen Folge der kreativen Einfälle; eine reizende Idee jagt die nächste und während man noch überlegt, „wie haben sie das bloß gemacht?“, folgt man schon entzückt dem nächsten Bilderreigen. Ein wenig schade fast nur, dass Chor und Kinderchor diesmal aus dem Off agieren, so dass man sich am Ende über die schiere Menge der Leute wundert, die sich verbeugen. Gesanglich und musikalisch (Leitung: Marc Piollet) überzeugt die Produktion aber trotzdem auf ganzer Linie.

Der Puppenmeister jagt Petruschka über den Jahrmarkt. (Foto: Hans Jörg Michel/Deutsche Oper am Rhein)

Man muss ergänzen: Auch tänzerisch. Denn den ersten Teil des Abends „Petruschka“ bestreiten die drei Zirkusakrobaten Tiago Alexandre Fonseca (Petruschka), Pauliina Räsänen (Ptitschka) und Slava Volkov (Patap). Ihre Heimat ist der russische Jahrmarkt und hier zeigen sie dem staunenden Publikum ihre Künste. Schrecklich nur, dass sie der sadistische Puppenmeister quält und verfolgt. Besonders Petruschka, der Clown, leidet darunter. Ihm gelingt zwar die Flucht, doch am Ende wird er wieder eingefangen und sieht nur noch den Selbstmord als Ausweg.

Die Animationen spielen mit großen kyrillischen Buchstaben, schrillen Jahrmarktsbesuchern mit riesigen Zahnlücken, die sich beständig volllaufen lassen und der ganzen Dämonie des Volksfestes, auf dem die Lustigkeit mit steigendem Alkoholkonsum in die Brutalität des Exzesses kippt.

Ästhetisch nimmt die Inszenierung Elemente des Stummfilms, aber auch des russischen Konstruktivismus auf und verzahnt ebenso wunderbar wie der 2. Teil des Abends Film und Tanz. Petruschka mit seinem schwarzen runden Hut erinnert dabei an Charlie Chaplin – melancholisch und lustig zugleich.

Karten und Termine: www.operamrhein.de

 

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