Erst der „Echo“-Skandal, dann die Hakenkreuz-Binde im Theater: Provokation bis zur völligen Verblödung

Hitlers gespenstisch wiederkehrender Geburtstag wird in diesem Jahr besonders ausgiebig begangen. Nein, nicht nur von (Neo)-Nazis, sondern auch von mehr oder weniger kulturell angehauchten Institutionen. Zunächst hatten wir (und haben wir immer noch) die sich seit Tagen hinziehende „Debatte“ um den überflüssigsten aller Musikpreise, den „Echo“, der sich eh nur nach Verkaufszahlen richtet und Qualität quasi nur als nebensächlichen Zusatzeffekt duldet.

Manche Themen kann man eigentlich nur noch abstrakt bebildern. Wenn überhaupt... (Foto: BB)

Manche Themen kann man nur noch abstrakt bebildern. Wenn überhaupt… (Foto: BB)

Die idiotische, unsäglich antisemitische Zeile der Echo-dekorierten Rapper Kollegah & Farid Bang muss zwangsläufig dazu führen, den nunmehr vollends korrumpierten und verseuchten Preis künftig gar nicht mehr zu verleihen. Respekt allen aufrechten Künstlern, die ihre Echo-Auszeichnungen jetzt zurückgegeben haben – mit welcher kurzen Verzögerung auch immer. So. Jetzt haben wir das hier ebenfalls gesagt. Fürs Protokoll.

Ist ja auch wahr. Der Überbietungs-Wettbewerb in Sachen Provokationen geht einem doch schon seit vielen Jahren auf die Nerven. Ständige Grenzüberschreitung scheint irgendwann zwangsläufig mitten in die Verblödung zu führen. Und ich fürchte, dass sich darin, nämlich im unentwegten Lobpreis der Provokation, ein Erbteil der Achtundsechziger verbergen könnte. Wobei die Sache natürlich viel komplizierter liegt.

Von Kollegah bis Konstanz: Bodenlos am Bodensee

Während die Echo-Verleihung wohl eher zufällig in die zeitliche Nähe des besagten Hitler-Geburtstages geraten ist, bezieht sich das Theater in Konstanz ganz bewusst darauf – und legt seinerseits eine angeblich unerhört „kritisch“ gemeinte Provokation just zu diesem Tage auf, gleichsam nach dem Motto „bodenlos am Bodensee“: Zur Premiere – und eventuell zu weiteren Aufführungen – von George Taboris „Mein Kampf“ (Regie: der Kabarettist Serdar Somuncu) gibt’s Freikarten, falls die Besucher sich bereit erklären, im Theater eine Hakenkreuz-Binde zu tragen.

Einige Dutzend Leute haben sich anscheinend schon für die infame Aktion gemeldet – Hauptsache „Schnäppchen“, Hauptsache Betrieb, Hauptsache schrill und krass. Man soll ja keine billigen Scherze mit Namen machen, aber der Konstanzer Intendant, der die Idee gehabt haben soll, heißt nun mal Nix. Vorname Christoph. Er hat wahrscheinlich erkannt, dass Provozieren mit Ficken und dergleichen schon längst nix mehr bringt. Da muss schon härtere Nazi-Action her. Von Kollegah bis Konstanz.

Leider funktioniert der üble Marketing-Gag

Doch halt! Natürlich will das Theater nach eigener Darstellung mit all dem nur zeigen, wie leicht sich Menschen korrumpieren lassen. Was habt ihr denn gedacht? Aber damit nicht genug der Geschmacklosigkeit: Wer eine Karte zum Normaltarif kauft, „darf“ zur Aufführung einen Davidstern tragen – als Zeichen der Solidarität mit den Opfern, wie das Theater eilfertig versichert. O schreckliche Einfalt!

Was wird das für ein Hallo im Zuschauerraum geben! Wahrscheinlich rücken da einige TV-Teams an, die sonst mit „Kultur“ so gar nichts am Hut haben. Eine gewisse Polizeipräsenz ist unterdessen sicherlich ratsam. Es geht ja auch nicht um Kultur, sondern (letztlich ganz ähnlich wie beim „Echo“) um das selbstgefällig provokante Gehabe einiger Ar***. In diesem Falle wird es auch noch öffentlich subventioniert.

Der aberwitzige Marketing-Gag funktioniert selbstverständlich zuverlässig, denn nun reden sie von Flensburg bis Garmisch und von Aachen bis Cottbus über das ansonsten herzlich unbedeutende Konstanzer Theater. Es ist zum Speien!

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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4 Antworten zu Erst der „Echo“-Skandal, dann die Hakenkreuz-Binde im Theater: Provokation bis zur völligen Verblödung

  1. Rolf Dennemann sagt:

    Vollkommen d’accord. Die Verzweiflung der Theater etc. scheint groß zu sein…

  2. Matta sagt:

    Meinst du schlöcher oder „ier“-schlöcher oder beides?

    @Frau Kirchhoff: Absolut d’accord!

  3. Susanne Maria Kirchhoff sagt:

    Ich frage mich, in was für einer Zeit wir leben, dass man das Erbe des großen Theatermachers George Tabori – zudem jüdischer Herkunft – so verhunzen darf.
    Ich schäme mich dafür noch mehr, als für das Echo-Desaster. Pfui.

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