Großes Theater und peinliches Scheitern – das zweite Wochenende bei den Ruhrfestspielen fiel durchwachsen aus

Warum er das getan hat, ist restlos nicht klar geworden. Ewald Palmetshofer, österreichischer Dramatiker der jüngeren Generation, hat sich Gerhart Hauptmanns Stück „Vor Sonnenaufgang“ vorgenommen und mit Aktualitäten angereichert. Kann man machen, ist auch nicht mißlungen, bringt aber auch keinen nennenswerten Erkenntnis-Zugewinn.

Szene aus „Barbarische Nächte“ (Foto: Nathalie_Sternalski / Ruhrfestspiele)

Thematisch geklammert wird der Gang der Handlung durch eine Schwangerschaft, die im Stück entlarvend wirkt und (natürlich, ist man fast geneigt zu sagen) mit einer Fehlgeburt endet, linke und rechte Positionen geraten gegeneinander, der Arzt bringt eine existentielle Dimension ins Spiel, zulässige und weniger zulässige Liebesbeziehungen entstehen, und auch die Klagen über die vertanen Chancen fehlen nicht. Dies kurz in Stichworten.

Begeisterndes Theater wie seit Jahren nicht

Die „deutsche Erstaufführung“ nach jenen in Basel (Uraufführung) und Österreich fand nun bei den Ruhrfestspielen statt, eine Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin, Regie: Jette Steckel. Und diese Produktion, warum lange drumherumreden, ist grandios!

Zweieinhalb Stunden fesselndes Schauspielertheater mit minimalen inszenatorischen Zutaten, sieht man einmal von der (auf der Bühne stehenden, nicht in ihr, wie sonst üblich, versenkten) Drehbühne ab, die sich während der gesamten zweieinhalb Stunden ohne Unterlaß langsam dreht (Bühne: Florian Lösche). Vorwiegend auf ihr (manchmal am Rand neben ihr) agieren die Darsteller, moderat, von der Regie gut geführt. Die permanenten Positionsveränderungen durch die sich drehende Bühne sind sinnhaft, ein paar Stühle reichen als Requisiten aus. Manchmal ein bißchen Musik, so viel Licht wie nötig, ansonsten aber, im besten Sinne: Schauspiel. Ein so begeisterndes Theater hat man seit Jahren nicht mehr gesehen.

Übrigens war die Baseler Inszenierung jetzt beim Mülheimer „Stücke“-Wettbewerb zu sehen. Völlig zu Recht fragt der geschätzte Kollege P. in der WAZ, mit welcher Berechtigung dies eigentlich geschah, ist doch die Substanz von „Vor Sonnenaufgang“ ganz unbestreitbar 100 Jahre alter Gerhart Hauptmann.

Wurzeln im Breakdance

Abgesehen vom Sonnenaufgang war das zweite Wochenende bei den Ruhrfestspielen allerdings eher durchwachsen. Die Compagnie Hervé Koubi, die im Marler Theater ihr Stück „Barbarische Nächte oder der erste Morgen der Welt“ (Les nuits barbares) zur Aufführung brachte, überzeugte athletisch weitaus mehr als mit der recht einfallslosen Choreographie. Tolle Sprünge, Heber, Kopfstände; die Ursprünge im Breakdance erkennt man noch, doch haben die jungen Männer auf der Bühne diese Anfänge schon weit hinter sich gelassen.

Bunt bemalte Witzfiguren

Absoluter Tiefpunkt dieses Wochenendes aber war „Die Präsidentin“, eine Produktion des Theaters Magdeburg mit Corinna Harfouch in der Titelrolle. Das Stück spielt mit der Vorstellung, die Kandidatin des Front National wäre französische Präsidentin geworden. Ein französisches Comic-Buch habe als Vorlage gedient. Was also folgt? Scharfe Analysen, emotionslos-kühles Weiterdenken nach Art des Herrn Houellebecq?

Was man tatsächlich zu sehen bekommt, ist das trashige Herumgemache bunt bemalter Witzfiguren, die sich um Posten streiten, Ausländer hassen, den Staatsbankrott herbeiführen und was nicht sonst noch alles. Einfallslos ist diese Darbietung bis über die Schmerzgrenze hinaus, ironiefrei und dumpf. Kindertheater, hätte man früher vielleicht gesagt, aber Kinder würden sich so etwas nicht bieten lassen, jedenfalls nicht zweieinhalb Stunden lang. Nur der Vollständigkeit halber sei es erwähnt: natürlich wird ausgiebig mit der Videokamera gefilmt, werden die Szenen mit den unerquicklich bunt angemalten Mimen überlebensgroß auf eine Leinwand über der Bühne oder auch auf die Bühne selbst projiziert – Theater mit ganz, ganz langem Castorf-Bart.

Corinna Harfouch als Präsidentin mit Krone und Entourage (Foto: Marcel Keller / Ruhrfestspiele)

Wie konnte die Harfouch nur!

Bald schon, hallo Königsdrama, ist auch die Präsidentin dran und wird abgelöst, doch das Stück ist dann noch lange nicht am Ende. Identitäre und Reichsbürger kommen nun (thematisch) zum Zuge, Antifeminismus und, wenn ich jetzt nicht irre, auch noch das eine oder andere Umweltthema und irgend etwas mit Finanzmärkten. Außerdem Putin und seine 5. Kolonne und die hohen Reproduktionsraten der Nordafrikaner, die die Angst vor „Umvolkung“ schüren.

In ihrer Besessenheit, nun aber auch wirklich jedes Bedrohungsthema noch unterzubringen, gehen dieser Produktion (Regie: Cornelia Crombholz) zum Ende hin auch die Positionen verloren, klingen manche Sätze wie der AfD-Werbung entlehnt, was aber sicherlich eher Ausdruck inszenatorischer Inkompetenz ist.

„Die Präsidentin“ – ein Ärgernis. Unverständlich bleibt, warum Corinna Harfouch, die längst bewiesen hat, daß sie eine grandiose Schauspielerin ist, sich für so etwas hergibt. Unvergeßlich ist sie mir noch immer als Martha in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ am Deutschen Theater. Und jetzt das.

Im Uhrzeigersinn von oben links: Nils, Till, Maja und Lina Beckmann – „die Spielkinder“ (Foto: Die Spielkinder / Ruhrfestspiele)

Die erfrischenden Beckmanns

Für einen versöhnlichen Ausgang dieser kleinen Wochenendbetrachtung sorgten schließlich „Die Spielkinder“, die vier Geschwister Beckmann auf der Sonntagsmatinee im ausverkauften großen Haus. Die Mädels Maja und Lina, sind wohl etwas fernseh- und bühnenbekannter als die Jungs Nils und Till, alle vier haben mit dem Theater zu tun. Als Gäste waren Charly Hübner, Jennifer Ewert und Sebastian Maier mit dabei.

In der gekonnt unperfekt dargebotenen szenischen Lesung kamen neben ein paar Albernheiten Texte von Ralf Rothmann zum Vortrag, Schule, Ohrfeigen, Pubertät, Schlaghosen – aber auch intensive Passagen über Sterben und Tod der Mutter. Erstaunlicherweise paßten sie in diese Veranstaltung recht gut hinein; das muß etwas mit dem familiären Zusammenhalt zu tun haben, mit jener Vertrautheit, die auch den Tod nicht ausblendet.

Wenn man ziemlich genau so alt ist wie Rothmann, ist es übrigens gleichsam ein V-Effekt, daß die Stories, die die Beckmannkinder vortragen und vorspielen, einem in der Grundierung bekannt vorkommen, die jungen Leute das aber auf keinen Fall erlebt haben können. Wenn sie sich die Geschichten trotzdem zu eigen machen und auf ihre Art erzählen, kann man sicher sein, keiner Nostalgieveranstaltung beizuwohnen. Bei den Beckmanns entsteht da Neues, das ist überaus vergnüglich.

So. Nächste große Produktion im Großen Haus ist „König Lear“ in der Regie von Claus Peymann.

www.ruhrfestspiele.de

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