Die Zeiten des Undergrounds sind vorbei. Die Leipziger Baumwollspinnerei ist gentrifiziert und im allgemeinen Kunstbetriebseinerlei angelangt. Vergangenes Wochenende bewies der Rundgang am Ort der Verheißungen abseits der Bundeshauptstadt, die mit ihrem Gallery Weekend wieder Rekorde brach, dass in Plagwitz die Luft raus ist.
Nicht, dass es in Berlin besser sei, aber: Langeweile bei Judy Lybke, der am Samstag Nachmittag nicht an der Spree weilte, sondern seiner Heimatstadt den Vorzug gab. Er zentriert sein Angebot um eine Arbeit von Carsten Nicolai, „pionier I“. Die Gallerina am Eingang sagt mit Wimpernaufschlag: „In fünf Minuten geht’s los“, als ob im Zoo die Pinguinfütterung begänne. Hatte aber vorher schon gesehen, dass eine Windmaschine einen weißen Fallschirm blähte. Das bisweilen zappelige Ding solle laut Handzettelprosa „im übertragenen Sinne als Metapher für die unsichere Balance zwischen Ordnung und Entropie“ dienen. Abgesehen davon, dass man sich mal diesen Satz auf der Zunge zergehen lassen sollte (was ist eine Metapher im übertragenen Sinn? Der scheinbare Gegensatz zwischen Ordnung und Entropie!), destillierte sich die Bedeutungslosigkeit jenes Objekts zum Sinnbild der maximal denkbaren Banalität künstlerischer Inkompetenz – dies, um auch mal ein wenig zu schwurbeln.
Matthias Kleindienst offerierte eine Personale von Tilo Baumgärtel. Nun gut, seine Narrationen kennt man ja ebenfalls. Was soll man noch dazu sagen, zu diesen postsurrealen Albdrücken? Wenn nur die Malerei ein wenig schmackhafter wäre. Die flauen Oberflächen wirken ein wenig lieblos in ihrer Machart. Auch der Laden für Nichts hat schon bessere Zeiten erlebt. Kathrin Thieles „Weiße Lügen“. Von ihr habe ich in der Vergangenheit spannendere Bilder gesehen. Das alles kommt gedruckt im Katalog ganz gut, jedoch im Original? Fragwürdig.
Thomas Sommer (maerzgalerie) hingegen weckte, sieht man von den Objektkästen aus der „C“-Serie ab, mit seinen teils apokalyptischen Landschaften gelegentlich das müde Auge. Am meisten beeindruckte noch Hartwig Ebersbach in der Dogenhaus Galerie. Seine „Tötende Madonna“, mit dem Fuß gemalt, ist großartig und sowohl satter Stoff fürs Auge als auch genug Anregung fürs Hirn. Selbst wenn die Hochformate mehr als die Queren überzeugen. Kunterbuntes dann in der Werkschauhalle. 14 internationale Galerien präsentierten Schlaglichter aus ihrem Programm. Lustig: Ein Typ, mit dicker Fototasche bepackt und in Begleitung einer ziemlich schönen Frau, beide im Gespräch mit dem Düsseldorfer Gastgaleristen Michael Cosar, schaut auf sein Handy und skandiert zwischen den Betrachtern plötzlich peinlich laut dreimal „Meister“. Ja, die bewegenden Ereignisse des Tages fanden andernorts statt.
Gut, dass das Wetter so prima war. Draußen eine Bratwurst plus Pils. Danach noch ein Blick in die Halle 14. Und wieder ein Ärgernis. „Changes“ heißt die international hochkarätig besetzte Gruppenschau. Robert Longo, Nina Berman, Harun Farocki und weitere mit Werken über 9/11 und wie das Ereignis den Planeten veränderte. Erstaunlicherweise zu einem Zeitpunkt, als die Ermordung Osama bin Ladens kurz bevor stand. Bermans „Marine Wedding“, ein Schock! Diese Fotografin ist sensationell. Ja, auch Magnum-Altmeister und „Bilderfabrikant“ gemäß Selbstbeschreibung, Thomas Hoepker lohnt. Wenn man aber ein Foto wie „Blick von Williamsburg/Brooklyn auf Lower Manhattan New York 11. September 2001“ aufs Ruffsche Format aufbläht, ist es ein Frevel am Werk. Dieses sensationelle Foto leidet unter der Bürde, aus dem Magazinkontext ins museale Groß verwachsen worden zu sein.
Vor Boesners Künstlerbedarfsladen ein einziger silbergrauer Porsche SUV vom Shuttlesponsor. Sinnbild des Zustands heuer. Security-Personal bewacht mittlerweile die Zufahrt, Rasen dort, wo man vormals noch parken konnte. Die Luft ist raus, Großsammler wurden nicht gesichtet. Aber dennoch gibt es kaum ein Ambiente mit einer derart angenehmen Stimmung. Die Hoffnung verebbt jedenfalls nicht. Denn die Kunst in den Räumen wechselt, der Charme der Spinnerei jedoch bleibt.