Denkwürdige Vokabeln (3): „Dönermorde“

Ein Kollege, häufig einer, der glaubt, sich besonders BILD-hafter Formulierungen bedienen zu müssen, tut es. Und dann tun es ihm viele andere nach. Ein Etikett ist erfunden, jedermensch bedient sich seiner in der unerschütterlichen Annahme, ungemein auf der aktuellen Höhe zu sein, und schon gibt es neue Bewerbungen um das Un-Wort eines Jahres.

Besonders dämlich, und daher halte ich es für nach wie vor brandaktuell darüber zu schreiben, kamen dieser Tage die „Dönermorde“ daher, die mutmaßlicherweise von frisch „ausgehobenen“ neonazistischen Terrorgruppenmitgliedern verübt worden sein sollen. Dabei sind nicht etwa erfolgreich verlaufende Anschläge auf Drehspieße gemeint, nein, Journalistenkollegen, ermittelnde Beamtinnen und Beamte, Politiker, Juristen – sie sind es, die sich neben allerlei anderen dieser drollig erscheinenden Vokabel bedienen – und sie umschreiben damit den Mord an Menschen.

Da die Opfer zum Teil einer in unserer famosen Republik lebenden Gruppe angehören, der die Mehrheit der in unserer famosen Republik Lebenden vorurteilend nachsagt, ihre Ernährung bestünde hauptsächlich aus am Drehspieß gegarten Fleisch, kam es kurzerhand zu dieser Tat-Umschreibung. Und es kam auch dazu, dass diejenigen, die die Taten beschrieben oder über sie schrieben, sprachlich zu Tätern wurden, weil sie ebenso gedankenlos wie in engstirniger Zeilengläubigkeit diese zynische und herabwürdigende Titulierung erfanden und bis auf den heutigen Tag nutzen.

Es ist schon schlimm genug, dass sich nun herausstellt, dass über ein Jahrzehnt Nazi-Terroristen quer durch unsere famose Republik Menschen ermorden konnten, ohne gefasst zu werden. Es ist schlimm genug, dass merkwürdige Fragen aus einer übel riechenden Gemengelage von brauner Gülle und verfassungsschützender V-Leute-Schaft quellen. Es ist schon schlimm genug, dass es erst solcher unumstößlicher Nachweise bedurfte, braunen Terror überhaupt als existierend in Betracht zu ziehen. Umso übler, schlimmer und unverzeihlicher ist es, mit dieser dämlichen Wortverbindung verniedlichend und in den Bereich der Randständigkeit drängend mit diesen Untaten in der Öffentlichkeit umzugehen. Ich schäme mich für die, die das Wort benutzen.

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5 Antworten zu Denkwürdige Vokabeln (3): „Dönermorde“

  1. Michaela sagt:

    Wenn ich ehrlich bin, wusste ich das tatsächlich auch nicht – nie wieder werde ich diesen Ausdruck benutzen! (Auch wenn er sowieso nicht zu meinem alltäglichen Sprachgebrauch gehörte.)

  2. Rudi Bernhardt sagt:

    Es war schon immer so, dass der alltägliche Rassismus in der Alltagssprache begann. Leicht sagt so wer dahin, dass man diesen oder jene in der Pfeife rauchen könne. Wenn ich ihnen dann sage, dass das ein Scherz unter KZ-Wachen war, gucken sie verdutzt.

  3. Michaela sagt:

    Meistens, wenn ich so etwas äußere, stoße ich auf Unverständnis: „Was hast du denn? Das heißt nunmal so. Immer musst du an allem rumkritteln!“

  4. Rudi Bernhardt sagt:

    Stimmt, und weil es immer so war, wird nur ein geringer Teil derer die lesen oder schreiben auf den Gedanken kommen, dass da was falsch laufen könnte.

  5. Michaela sagt:

    Vollkommen d’accord! –
    Genauso unerträglich und menschenverachtend ist für mich der Begriff „[sexueller] (Kindes-)Missbrauch“, denn er impliziert ja, dass es einen angemessenen G e brauch von Kindern/Frauen gibt.

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